Es kam zu menschenverachtenden Behandlungen, entwürdigenden und willkürliche Bestrafungen wie auch Kollektivstrafen:
Drohungen, Prügel, Isolation, kalte Duschen, in einen Sack stecken, im dunklen Keller einsperren. Ein Opfer äußerte: “Das Prinzip war: Strafe, Strafe, Strafe. Sie wollten uns den Willen brechen”. Jahre später “kamen mir seltsame Parallelen zu einem KZ in den Kopf” (S. 161). Ein anderer schrieb zu Recht: “Das macht man nicht einmal mit Sträflingen” (S. 193).
Nahrungsaufnahme: Auch hier gewaltsames Essen-Müssen. Weil die Gewichtszunahme als Hauptmerkmal der erfolgreichen Kur galt, mussten die Kinder alles essen, was man ihnen vorsetzte. Das waren oft sättigende aber billig eingekaufte und ekelerregende Speisen. Wer sich danach erbrach, musste das Erbrochene aufessen. Ausscheidungsvorgänge: Man musste kollektiv auf die Toilette gehen, aber nicht in der Nacht. Wer ins Bett machte, wurde bestraft und öffentlich bloßgestellt. Ein Opfer schrieb: “Wir konnten nicht aufs Klo gehen, wenn wir wollten und mussten, sondern wir sind fünfmal am Tag zum Klo geführt worden” (S. 184).
Weglaufen, Suizidversuche, Selbsttötungen: In den verschiedenen (auch außerhalb dieses Buches) Quellen wird vom Weglaufen mit schlimmen Strafen, Tendenzen, sich selbst Schaden zuzufügen bis hin zu Suizidversuchen berichtet.
Im Buch “Heimweh” von Anja Röhl findet man Angaben über zwei vollendete Selbsttötungen ehemaliger Verschickungskinder (S. 221ff.). Dazu muss angemerkt werden, dass nach meiner Kenntnis der Forschung Suizide von Kindern in der Vorpubertät sehr selten sind.
Weshalb hatten sich die meisten Eltern nicht dafür interessiert, was mit ihren Kindern in den Heimen passiert war?
Oft hatten sie Schuldgefühle, weil sie sich unzulänglich fühlten oder froh waren, dass die Kinder eine Weile woanders hin kamen.
Manchmal beschwerten sich die Eltern. Was passierte dann? Sie wurden von denjenigen Behörden abgewimmelt, die auch in die Verschickung verstrickt gewesen waren. “Als ich dann Einzelheiten erzählt habe, ist mein Vater zur DAK gegangen und hat denen das berichtet. So wie meine Mutter sich erinnert, hat die DAK keine Reaktion gezeigt” (S. 149).
“Ich wollte zum Staat gehen und das melden” (S. 143).
Abschließende Bemerkung: Viele Eltern und Kinder wurden von Autoritäten getäuscht, einer Verschickung zuzustimmen.
Längst nicht alle Kinder kamen aus der “Unterschicht”, wie man heute sagen würde. Denn das scheint mir eine schäbige Ausrede zu sein, um eigene Verantwortung als Nachfolgeinstitution zu vertuschen.