Bad Sassendorf – 09.04.2024
Autor: Bastian Tebarth
Es ist ein Meilenstein in der Aufarbeitung der Kinderverschickung. Am 09.04.2024 wurde das erste offizielle Denkmal für Verschickungskinder in Nordrhein-Westfalen enthüllt. Trotz regnerischem Aprilwetter waren etwa 40 Betroffene und Interessierte zur Einweihung des Denkmals in den Bad Sassendorfener Kurpark gekommen.
Bürgermeister Malte Dahlhoff machte das erste Denkmal für Kinderverschickungen möglich
„Bürgermeister Malte Dahlhoff hat einen ganz tollen Ort für die Skulptur und die Erklärtafel gefunden. Sie steht direkt am Eingang zum Kurpark Richtung Börde-Therme. Der Tag war sehr bedeutet für uns als Verein. Mit der Symbolkraft der Erinnerungskultur ist ein Schritt zur Heilung gemacht: Wir werden hier in Bad Sassendorf gesehen und gehört,“, freute sich Detlef Lichtrauter, 1. Vorsitzender des Vereins Aufarbeitung Kinderverschickungen NRW bei der feierlichen Eröffnung der Skulptur in Bad Sassendorf.
Das Kunstwerk erinnert an die über 100.000 Kinder, die zwischen 1950 und 1990 zur Kur mussten. Viele kamen traumatisiert wieder nach Hause.
Prominent platziert neben dem Gradierwerk des Kurparks, hat die Skulptur „Wundmal“ einen würdigen Ort gefunden.
Großer Dank an Bürgermeister
Bürgermeister Malte Dahlhoff schilderte in seiner Rede den Entstehungsprozess des Sassendorfer Denkmals. Anlässlich des Bundeskongresses der Initiative Verschickungskinder im Jahr 2022 in Bad Sassendorf, hatte er mit Detlef Lichtrauter und CSP-Projektleiter Bastian Tebarth die Idee entwickelt, in dem Kurort eine Erinnerungsskulptur zu errichten.
„Ich entschuldige mich bei den Betroffenen für das Leid, dass ihnen angetan wurde“, betonte Bürgermeister Dahlhoff in seiner Begrüßungsrede.
Anwesend bei der Einweihung waren neben Bürgermeister Malte Dahlhoff auch, von rechts, Detlef Lichtrauter, Vorsitzender des Vereins AKV NRW e.V., Jeanette Metz, Leiterin des Museums „Westfälische Salzwelten“, verantwortlich für die Umsetzung des Denkmals, die Künstlerin Heike Fischer-Nagel (2. von Links) und Dr. Christina Steinbicker, Regionalmanagerin des Leader-EU-Förderprogramms, das die Umsetzung des Denkmals finanziert hat und (Foto folgt weiter unten) Christian Fritsch, Referent im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Lands NRW (MAGS), zuständig für das vom Land geförderte Citzien-Science-Projekts des AKV-NRW.
„Mir als Vertreter der Bürger:innen von Bad Sassendorf war es wichtig, dass die Skulptur einen würdigen Platz im Kurpark bekam. Denn auch das Schicksal der Verschickungskinder, ihre Geschichten, die neben der bis dahin positiven Erzählung zum Kurort eben auch da sind, braucht einen solchen Ort,“ betonte der Bürgermeister.
Entworfen wurde die Skulptur von der Hamburger Künstlerin Heike Fischer-Nagel, die selber ein ehemaliges Verschickungskind ist. Bei der Entstehung der Skulptur stand folgende Frage für die Künstlerin im Mittelpunkt: „Wie schaffe ich es, im künstlerischen Gestaltungsprozess diese Erinnerungssplitter der kindlichen (Seelen-) Innenwelt zu fassen, zu formen und in gewisser Weise auch zu konservieren?“
Die Bronze-Skulptur besitzt eine enorme Aussagekraft. Skulptur und Sockel harmonieren perfekt. Die Skulptur aus der Nähe zu betrachten, regt zum Nachdenken an. Heikes Intention ist ja unter anderem, die jahrzehntelange Sprachlosigkeit zu überwinden, Unaussprechliches sichtbar zu machen, Dialoge und den gesellschaftlichen Diskurs zu öffnen. Dies gelingt ihr mit ihrer Arbeit ganz eindeutig. Die Skulptur steht an prominentem Ort. Nahezu jeder Besucher des Parks und des Gradierwerkes kommt zwangsläufig mit ihr in Kontakt.
Michael Millgramm, Verschickungskind und ehrenamtlicher Fotograf des AKV-NRW
Dem Verein AKV-NRW, der von Betroffenen für Betroffene gegründet wurde, war es wichtig, dass an dem Tag auch Betroffene aus Bad Sassendorf zu Wort kommen. Das von den ehemaligen Verschickungskindern gemeinsam verfasste Grusswort wurde von der Betroffenen Petra Schiemann vorgetragen.
„Was wir erlebten waren keine Einzelfälle. Die Erfahrungen waren weder einer kindlich verzerrten und heimwehgeprägten Wahrnehmung geschuldet, noch auf Praktiken nicht mehr zeitgemäßer pädagogischer Methoden reduzierbar, sondern das Erlebte war fester Bestandteil und Auswuchs eines über Jahrzehnte praktizierten, mit Zwängen und Strafen durchreglementierten Kinderkursystems.“
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Als Lehre aus der Geschichte wünschte sich der Bürgermeister, heute genauer hinzusehen und zuzuhören. Alle waren sich einig: So etwas darf nie wieder passieren! Eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Geschehenen. Das liegt auch der Politik am Herzen.
„Die Aktenlage ist oft schwierig, aber nicht aussichtslos. Auch heute sind noch Unterlagen zu finden. Daher werden wir Anfang Juli als Ministerium einen Wissenschaftskongress in Münster veranstalten,“ betonte Christian Fritsch, der als Referent im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Lands NRW (MAGS) zuständig ist für das vom Land geförderte Citzien-Science-Projekts des AKV-NRW.
Im Anschluss hatte der Bürgermeister alle Beteiligten zu einem kleinen Umtrunk in das Café der angrenzenden Therme eingeladen. Dort waren sich alle einige: Es war ein gelungener Tag!
Michael Millgramm: „Nach dem Ende der heutigen Veranstaltung bin ich noch einmal zur Skulptur gegangen, um einige nicht verregnete Fotos zu machen. Während ich dort stand, kamen unterschiedlichste Menschen dort vorbei, blieben stehen, um die Skulptur zu betrachten, die Informationstafel zu studieren und die QR-Codes zu scannen. Diese Menschen kamen miteinander über unser Thema ins Gespräch, erzählten von ihren eigenen Erlebnissen und diskutierten, ohne sich zuvor gekannt zu haben. Das fand ich sehr berührend.“
Genau das haben wir uns als Projektbüro und Verein gewünscht. Vielen Dank an Bürgermeister Malte Dahlhoff und Jeanette Metz für dieses Denkmal!