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Regina Konstantinidis: Verschickt – Verdrängt – Vergessen

Ein persönlicher Erfahrungsbericht des Verschickungskindes Regina Baumann

BoD - Books on Demand. Norderstedt 2021, etwa 130 Seiten.   Preis: 10 Euro
ISBN: 978-3-755-70065-4

Auf den ersten dreißig Seiten wird von Familie, Kindergarten und Schule eines Mädchens berichtet. Die Familie lebte am Stadtrand von Essen. Die alleinerziehende Mutter war mit den vier kleinen Kindern überfordert. Allerdings erfuhr das Mädchen körperliche Gewalt erstmals durch einen katholischen Kaplan in der Schule. Anfang der 1970er Jahre wurde das Kind im Alter von sechs oder sieben Jahren für sechs Wochen in das "Haus Ruhreck" auf der Insel Borkum "verschickt".

Diese Einrichtung gehörte der Stadt Essen. Das erleichterte später die Suche nach Dokumenten. Die Erlebnisse dort nehmen knapp die Hälfte des Buches ein: Unpädagogisches Verhalten der nicht qualifizierten “Tanten”, Terrorsystem der älteren Jungen. Denn diese waren “echte Heimkinder”, Zwang, nicht aufzufallen und sich anzupassen, Entwürdigung sowie Entpersönlichung: Man musste auch das Erbrochene anderer Kinder mitaufessen. Wie in anderen Heimen gab es eine Postzensur. Das war die “schlimmste Zeit meines Lebens”, schrieb die Autorin noch fünfzig Jahre später. Es folgen dann etwa 14 Seiten über die “Rückkehr eines anderen Kindes”.

Die Erwachsenen zuhause wollten (vielleicht aus Schuldgefühlen?) von den Traumatisierungen nichts wissen und taten Hinweise auf die angedeuteten Grausamkeiten als “kindliche Phantasie” ab.

Anschaulich beschreibt die Verfasserin auf etwa 16 Seiten die Langzeitfolgen bis heute: Depressionen, wenig Vertrauen zu menschlichen Beziehungen, Störungen beim Essen und Schlafen.

Dabei ist sich die Autorin bewußt, dass sie “noch relativ glimpflich durch diese sogenannte Erholungskur gekommen” ist. Anderen sei es schlimmer ergangen. Bei vielen kam es zu schwersten pychischen Störungen, Suchtverhalten, Kriminalität. Todesfälle in den Heimen wurden verschleiert. Das letzte Kapitel enthält auf 26 Seiten Aufarbeitung und Recherche. Im Stadtarchiv der Stadt Essen wurde die Verfasserin fündig. Sie fand ein Fotoalbum von 1947. Die Kommentare darin enthalten auch Nazi-Jargon.

Erst 1993 wurde der Betrieb als “Kinderkurheim” eingestellt. Die Gebäude hatte man mehrfach weiterverkauft. Unklar ist, wer die finanziellen Nutznießer gewesen sind. Wirtschaftliche Aspekte waren wichtiger als pädagogische Ziele. Weil an der Heizung gespart wurde, mussten die Kinder im Winter frieren. Zwischen 1980 bis 1988 nahmen jährlich in Durchschnitt über 700 Kinder aus der Stadt Essen an diesen “Kuren” teil. Die Schließung geschah auch, weil die Schulkinder nach ihrer Rückkehr Schwierigkeiten in der Schule hatten. Die meisten “kurbedürftigen Kinder” stammten aus sozial schwachen Familien. Deren Anmeldung erfolgte über den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des zuständigen Jugendamtes. Nach dem Ende der “Heime” erhielt das verbliebene Personal, also die Täterinnen, üppige Abfindungen. Die Opfer gingen leer aus. Da drängen sich Vergleiche im Umgang mit NS-Tätern und NS-Opfern nach 1945 auf.

Die Autorin fordert: “Lückenlose Aufklärung”, die Träger sollen das kollektive “Leid” anerkennen und sich “ihrer Verantwortung stellen”. Statt finanzieller Entschädigung sollen Kongresse und Kontakte der Opfer untereinander finanziert werden, wie auch “echte Kuren” für die jetzt älteren Opfer.

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