Ermutigendes Signal: NRW fördert weiteres „Citizen Science Projekt – Kinderverschickungen NRW“ bis 2028
Am 16. Dezember 2025 kam der „Runde Tisch Verschickungskinder NRW“ zum sechsten Mal im Düsseldorfer Landtag zusammen. Für große Erleichterung und Freude sorgte die Nachricht, die der Leitende Ministerialrat im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS), Thomas Wallenhorst, bekannt gab: Die Landesregierung fördert ein weiteres Citizen Science Projekt zur Aufarbeitung der Kinderverschickungen in Nordrhein-Westfalen bis Ende 2028.
Für die Betroffenen ist diese Entscheidung ein wichtiges und ermutigendes Signal. Detlef Lichtrauter, 1. Vorsitzender des Vereins Aufarbeitung Kinderverschickungen NRW e.V., beschreibt die Bedeutung so:
„Was als Engagement Einzelner begann, ist zu einer sichtbaren Bewegung geworden. Die Aufarbeitung der Kinderverschickungen wächst weiter hinein in das gesellschaftliche Bewusstsein – getragen von Menschen, die aushalten, zweifeln, hoffen, weitermachen.“
Detlef Lichtrauter Tweet
Im Rahmen der Sitzung wurden zudem zwei wissenschaftliche Arbeiten präsentiert, die einen bedeutenden Beitrag zur historischen Aufarbeitung leisten.
Wichtige Meilensteine in der historischen Aufarbeitung
Zunächst stellte Prof. Dr. Heiner Fangerau vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf den Abschlussbericht der vom MAGS NRW beauftragten Studie „Missbräuchlicher Einsatz von Medikamenten an Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen seit der Gründung des Landes bis in die 1980er Jahre“ vor.
Die Untersuchung beleuchtet erstmals umfassend, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen Kinder und Jugendliche in verschiedenen Einrichtungen Medikamentenmissbrauch ausgesetzt waren – ein weiterer wichtiger Baustein, um die Strukturen und Verantwortlichkeiten jener Zeit sichtbar zu machen.
Im Anschluss gab Dr. Helge-Fabien Hertz von der Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Geisteswissenschaften, Historisches Institut, Einblicke in sein Habilitationsprojekt „Das Kinderkurwesen in Deutschland zwischen Erholung und Gewalt (1871 bis ca. 1990)“.
Seine Forschung zeigt, wie vielfältig und ambivalent die historischen Entwicklungen im Bereich der Kindererholung waren und welche Formen von Übergriffen, Kontrolle und Gewalt sich hinter dem vermeintlichen Schutz und der Fürsorge verbergen konnten.
Beide Beiträge verdeutlichten, wie wichtig unabhängige Forschung für die Aufarbeitung der Kinderverschickungen und angrenzender Themen ist und wie viele Aspekte dieser Geschichte noch immer aufgeklärt werden müssen.
Gemeinsame Fortschritte seit 2023
Seit März 2023 arbeiten Vertreter:innen verschiedener Trägerorganisationen sowie zweier beteiligter Ministerien daran, konkrete Wege der Aufarbeitung zu entwickeln. In den Sitzungen des Runden Tisches standen bisher folgende Themen im Mittelpunkt:
- Antrag und Diagnose
- Steuerung und Transport
- Kurlandschaft
- Kuraufenthalt
- Erkenntnisse und Konsequenzen
Begleitet wurden diese Schwerpunkte durch fundierte Fachvorträge aus Wissenschaft und Praxis – etwa zu den Themen „Recht auf Aufarbeitung“, „Langzeitfolgen von Kindheitstrauma“, „Institutionelle Gewalt gegen Kinder“ und „Heimaufsicht“.
Wichtige Ergebnisse dieser Zusammenarbeit sind bereits sichtbar:
• Die Sicherung noch vorhandener Akten wurde zugesagt
• Eine eineinhalbtägige Archivtagung in Münster brachte Klarheit zur Archivlage und zu Forschungszugängen
• Unabhängige wissenschaftliche Projekte wurden angestoßen
• Zudem wurde das Leid der Verschickungskinder öffentlich anerkannt
Ein großer Meilenstein war die im Mai 2025 vorgestellte Bundesstudie der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie dokumentiert umfassend strukturelle und institutionelle Missstände sowie Misshandlungen im Zusammenhang mit den Kinderverschickungen.
Weiterhin großer Bedarf an Unterstützung
Trotz der positiven Entscheidung zur Projektverlängerung bleibt der Bedarf an Unterstützung bestehen. Der Verein AKV-NRW e.V. braucht weiterhin finanzielle Mittel, um notwendige Hilfs- und Austauschangebote für Betroffene aufrechtzuerhalten. Joachim D., zweiter Betroffenenvertreter am Runden Tisch, bringt es auf den Punkt:
„Aufarbeitung ist eine Bewältigung der Vergangenheit für die Gegenwart und für die Zukunft.“
Joachim D. Tweet