Von: Chr. P.
Verschickt aus (damaliger Heimatort) *: Kassel
Jetzt wohnhaft in: Eschwege
Name des Trägers: Barmer Ersatzkasse
Kostenträger: Barmer Ersatzkasse
Dauer der Verschickung: 6 Wochen
Bericht: Ich war sechs Jahre alt und musste allein mit anderen, fremden Kindern und
wenigen Begleitern im Zug fahren. Das war schon traumatisierend.
Wir Kinder hausten zu sechst oder acht in einem Zimmer mit Stockbetten. Wir wurden
frühmorgens von den „Tanten“ mit Kochtopfschlagen und lauten Rufen geweckt. Vor dem
Frühstück gab es immer einen großen Esslöffel voll puren Lebertran. Die Kinder mussten
uns in einer Reihe hintereinander aufstellen und den Lebertran einnehmen. Nach dem ersten
Mal, nachdem ich mich fürchterlich übergeben hatte, bin davor geflüchtet und einfach
abgehauen, was mir natürlich großen Ärger einbrachte.
Das Essen war überwiegend grauenhaft, ich aß auch nie viel und nicht alles, und so musste
ich oft vor meinem Teller sitzen bleiben, bis ich was gegessen hatte. Natürlich war dann
irgendwann alles kalt. Auch wenn ich mich übergeben hatte, musste ich stundenlang vor
dem Teller sitzen bleiben. Gegessen habe ich aber nicht.
Die Briefe, die wir an die Eltern schreiben mussten, sollten immer positiv klingen, sonst
haben die „Tanten“ sie korrigiert, und erst dann sind sie abgeschickt worden. Wenn jemand
Geburtstag hatte oder zu Ostern, bekam man von zu Hause Päckchen, unter anderem mit
Süßigkeiten, die sofort von den „Tanten“ konfisziert wurden und unter der Treppe in einen
Schrank weggesperrt wurden, was ich mal beobachtete. Die Süßigkeiten bekamen wir nie
wieder.
Bei jeder Gelegenheit von Ungehorsam bekamen wir Kopfnüsse, Ohren langziehen oder –
verdrehen, wurden durchgeschüttelt und angeschnauzt, die „Tanten“ waren immer in Eile
und sehr laut.
Ich habe auch nicht zugenommen und bin auch nicht erholt aus der Kur wieder nach Hause
gekommen. Ich versuchte, meinen Eltern von dieser Horrorkur zu erzählen, die mir aber
nicht glaubten und mich als undankbar hinstellten. Ich bin aus dieser Erfahrung als Trotzkopf
hervorgegangen und bin der Meinung, dass das mein weiteres Leben nicht gerade positiv
beeinflusst hat. Es hat viele Schwierigkeiten gegeben, was mir erst jetzt bewusst wird,
nachdem ich nach und nach von den vielen anderen Schicksalen erfahren habe.
Anonymisierungs-ID: asa

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