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25946 Amrum, 1962

Es waren traumatische Erlebnisse, die mein Leben geprägt haben und immer noch Auswirkung haben

Von: D.

aus dem GeneralAnzeiger Bonn habe ich von Ihrem Aufruf an ehemalige Verschickungskinder erfahren…

Kurz zu meiner Geschichte: Als 5-Jährige war ich vom 31.08.-6.10.1962 für 5 Wochen im Kinderkurheim Möwenhof auf Amrum. (Ich weiß dies so genau, weil meine Mutter die Ansichtskarten aufbewahrt hat, die eine Betreuerin 1x pro Woche in meinem Namen an meine Familie in Bonn geschrieben hat; siehe Foto unten) Anlass für die Verschickung war ein positiver Tuberkulintest im Kindergarten, der zahlreiche Untersuchungen nach sich zog. Es wurde eine beidseitige Hiluslymphdrüsentbc (ohne sichere Aktivität) festgestellt. Sowohl Kinderärztin als Gesundheitsamt befürworteten eine „Mittagsliegekur“, ausdrücklich ohne Sonnenbestrahlung, also im abgedunkelten Raum. Meine Erlebnisse im Kinderheim ähneln denen vieler Betroffener (vgl. Anja Röhl, Das Elend der Verschickungskinder bzw. Hilke Lorenz, Die Akte Verschickungskinder). Ich habe sie im Laufe meines Lebens immer wieder in kurzen Texten und Tagebucheintragungen (auf englisch, um die Distanz zu wahren) und in Therapien zu verarbeiten versucht. Es waren traumatische Erlebnisse, die mein Leben geprägt haben und immer noch Auswirkung haben. Die Erinnerungen sind auch nach fast 60 Jahren lebendig. Dennoch ist das Geschehen in den Kinderheimen m.E. nicht losgelöst zu sehen vom jeweils familiären Kontext. Auch aus diesem Grund bin ich weniger daran interessiert, meine Geschichte zu erzählen als vielmehr Kontakt zu knüpfen zu anderen Betroffenen, die zum gleichen Zeitpunkt wie ich im Kinderheim Möwenhof untergebracht waren. Gerne würde ich Schilderungen aus dem Blickwinkel älterer Kinder hören, nicht zuletzt, um meine eigene Perspektive zu erweitern bzw. ggf. zu korrigieren. Das Kinderheim bot Platz für 60 Kinder im Alter von 2-12 Jahren. Ich war in einem gemischten Schlafsaal untergebracht. Im Nebenraum schliefen die älteren Mädchen; eines hat sich ein bisschen um mich gekümmert. Leider erinnere ich mich nicht an ihren Namen. Durch einen Zufall habe ich im Internet eine Ansichtskarte des Kinderheims erstanden, die denselben Poststempel trägt wie eine meiner Postkarten an meine Familie. Die Absenderin, E. B. aus Hamburg, war demnach zum gleichen Zeitpunkt im Kinderheim Möwenhof zur Kur wie ich. Sie hat ihre Karte an ihre Familie in Hamburg selbst geschrieben und gehörte demnach zu den älteren Kindern. Leider konnte ich sie weder übers Internet ermitteln noch über den Ansichtskartenhandel, bei dem ich die Karte erstanden habe. Vielleicht gelingt dies ja über die Initiative Verschickungskinder.de. Aber ich bin nicht nur an diesem einen Kontakt interessiert. Ein Austausch mit anderen Betroffenen wäre grundsätzlich hilfreich.

Im September d.J. war ich für einige Tage auf Amrum in einem kleinen Hotel in Wittdün, gar nicht weit von der Stelle, an der das Kinderheim Möwenhof bis Ende der 1960er Jahre gestanden hat. Das Gebäude war Ende des 19. Jh. an der oberen Wandelbahn in Wittdün als Hotel Victoria erbaut worden. Nach dem 2. Weltkrieg wurde es als Vertragskinderheim an die Stadt Detmold verpachtet und gelangte später in den Besitz von Schwester M., die das Kinderheim leitete, als ich 1962 dort war. Ende der 1960er Jahre wurde das Gebäude abgerissen und machte dem Apartmenthaus „Leitfeuer“ Platz (nachzulesen in der Inselzeitung Der kleine Amrumer von 2007). Der Blick aufs Meer hat sich seit meinem Aufenthalt 1962 grundlegend verändert. Wo früher nur ein schmaler Streifen Strand existierte, erstreckt sich heute kilometerweit Kniepsand.

Ich füge zwei Ansichtskarten aus der Zeit meines Aufenthalts bei (die untere Karte zeigt die ältere Ansicht des Heims. 1962 wurde das Heim weiß getüncht und die Karten neu aufgelegt, die das Gebäude dann auch als Kinderheim Möwenhof ausweisen. Die obere Karte ist die im Internet erstandene. Die untere wurde für mich an meine Eltern geschickt.). Nach dem Abriss des Gebäudes an der oberen Wandelbahn wurde das Kinderheim Möwenhof von Frau P. im Möwenweg auf Wittdün weitergeführt und später von ihr in einen Kindergarten umgewandelt. Frau P. war eine sehr autoritäre Person, die Angst auslöste. Aber zur Differenzierung sei gesagt, dass sie als unverheiratete Frau einen Waisenjungen adoptierte, der mit im Heim lebte, als ich dort war, und auch zwei Schwestern bei sich im Heim aufnahm, die früh ihre Mutter verloren hatten.

Gerne möchte ich mich hiermit als ordentliches Mitglied in Ihrem neu gegründeten Verein “Aufarbeitung Kinderverschickungen“ anmelden….

Anonymisierungs-ID: aah

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