26757 Borkum Adolfinenheim 1983

Solebäder brannten auf wunder Haut

Name: S.P.

Verschickt aus (damaliger Heimatort) *: 5860 Iserlohn, NRW
Jetzt wohnhaft in: Schweiz

Name des Trägers: LWL Westfalen-Lippe
Kostenträger: AOK, Kinderarzt Dr. Altinger Iserlohn

Verschickungsort: Borkum
Name des Verschickungsheims: Adolfinenheim
Zeitpunkt der Verschickung: Oktober 1983
Dauer der Verschickung: 8 Wochen
Bericht: Ich war im Alter von 9 Jahren wegen Neurodermitis und Asthma im Adolfinenheim auf Borkum. Ich erinnere daran, dass ich am Bahnhof meinen schweren Koffer selber tragen durfte und nicht verstehen konnte, dass ich alleine weggeschickt wurde und bitterlich weinte und weinte bis auf dem Schiff. Andie Schiffsfahrt, denn der Wellengang war wirklich sehr hoch, das Schiff schaukelte sehr und es war sehr beängstigend. Nach draussen aufs Deck durften wir nicht wegen dem Wetter und uns wurde gesagt, dass 1 Kind mal über gegangen sei als es verboten oben an Deck war; da bekam ich das erste Mal Angst. Ich erinnere mich an ein 3 Bett Zimmer, aber das kleine Mädchen im ersten Bett an der Tür war nach einigen Tagen verschwunden und ich blieb mit Susie alleine zurück. Wir sassen tagein/ tagaus auf unseren Betten, spielten mit unseren Bettdecken und flüsterten hauptsächlich. Lautstärke war verboten; zur Strafe mussten wir einen Nachmittag, Abend oder auch Nacht in der Ecke stehen, stehen nicht sitzen oder liegen. Draussen auf dem Flur musste 1 Mädchen nächtelang alleine auf dem kalten Boden schlafen nur mit einer Bettdecke; sie hatte lange blonde Haare, die ich so bewunderte. Der Speisesaal, der immer ekelig nach abgestandener Luft und altem Essen stank und an die Essenspflicht: Wenn Du nicht aufisst, bleibst Du bis zur nächsten Mahlzeit dort sitzen und so war es auch. 1* musste ich von Mittags bis Abends an meinem Platz sitzen- diese alte Drohne mit ihren grauen Haaren ließ mich keine einzige Minute aus den Augen; als ich immer noch nicht aufgegessen hatte wurde mir Angst gemacht: Das sage ich deinem zuständigen Arzt- Wollen wir mal sehen, wie lange DU dann zusätzlich hier bleiben darfst und ob Du überhaupt noch nach Hause kommst!
Die Badekuren: Moorbäder und Solebäder ( letztere taten immens weh als Neurodermitiker mit offenen Wunden) und an das eiskalte Abduschen mit einem Gartenschlauch- wo mir immer schwindelig wurde und ich immer dachte ich ersticke gleich- dann das 20 minütige Ruhen auf einer Liege, eingepackt in 2 Badetücher und reden war verboten; danach das schnelle Anziehen der Kleidung. (Massenabfertigung war das, denn die Badewannen mussten fast immer erst vom Vorgänger sauber geschrubbt werden, bevor man selbst da rein konnte; warten natürlich nackt und fröstelnd. An die Krankengymnastik: Die einzige Frau die etwas netter war und wo man auch mal etwas lauter sein durfte, die Einzige die auch mal zuhörte. An den Nebelraum, in dem man nicht atmen konnte: der war immer eiskalt und wir mussten in Unterwäsche dicht nebeneinander Sitzen und durften keinen Mucks von uns geben ( meistens Vormittags 2 * wöchentlich) An die wöchentlichen Sprechstunden, Freitags mit Ärzten und den Aufseherinnen ( die entschieden da, wie lange man noch bleiben musste, die Ärzte sagten uns unverhohlen wie lange es noch war und Alle Kinder hatten Angst davor und viele weinten danach. Vor dem Untersuchungsraum mussten wir uns bis auf die Unterwäsche ausziehen und gruppenweise auf ner Turnbank warten bis wir dann einzeln dran waren. Oft fror ich bitterlich in den zugigen Flur.
Auch wurden alle Postsendungen erst einmal konfisziert ( egal ob Päckchen oder Briefe, deren Inhalt da wurde ausnahmslos überprüft wurde, wurde der Inhalt von Päckchen für Alle aufgeteilt und man selbst bekam meistens nix davon ab ( zur Strafe wurde mir immer gesagt- weil ich so oft Post bekam). Alles was wir nach Hause schrieben wurde erst einmal von den Aufseherinnen gelesen, bevor es freigegeben wurde. Wir 2 Mädchen auf unserem Zimmer kauften 1* wöchentlich Postkarten und Briefmarken von unserem spärlichem Taschengeld welches nach Alter gestaffelt war, ich selbst bekam 2,50 die Woche und man konnte das Geld auch sparen und hatte die Woche darauf mehr- Aber ohne Geld durfte man auch nicht ins Dorf und musste auf dem Zimmer bleiben ( die Postkarten schrieben wir heimlich, versteckten sie und dann wieder heimlich, beim wöchentlichen Dorfausflug schickten wir sie nach Hause), dann der gemeinsame Rückgang ins Adolfinenheim in Zweierreihen und am Leuchtturm vorbei mit einer Aufseherin, meist kamen wir durchnässt und durchgefroren an. Zuhause wollte uns keiner glauben, was wir so schrieben: Du übertreibst bestimmt, Heimweh vergeht und wir sehen uns ja bald wieder, waren die üblichen Antworten von Zuhause. Draussen waren wir nur zu den Dorfgängen und es war immer bitterkalt zu dieser Jahreszeit. Wir besassen kein Spielzeug, lediglich 1 Stofftier durften wir behalten. Alles Andere wurde uns weggenommen und wurde erst am Abreisetag zurück gegeben. Lachen, weinen, spielen, etwas lauter reden – Alles war unter Strafe verboten. Wir mussten die Zeit zwischen Anwendungen und Essenszeiten auf den Zimmern bleiben. Nach dem Mittagessen wurde kontrolliert, ob wir auch in unseren Betten lagen und die Augen zu hatten. Nachts sass eine dickere Aufseherin in der Ecke auf dem Flur und ich glaube die schlief nie.- Ab und zu hörten wir verängstigt Schreie und Kinder heulen. Die Waschräume waren in zwei Reihen und jedes Kind hatte 3 Minuten zum Waschen und Zähneputzen. Nachts war der Klogang verboten und es gab strenge Zeiten überhaupt auf das Klo gehen zu dürfen. Ich bekam Kur- Verlängerung, da ich immer offene Wunden vom Kratzen hatte und mir sagte der Arzt: Ich darf erst wieder nach Hause, wenn diese Wunden abgeheilt wären, was sie nie waren, aber nach der ersten Verlängerung 6 Wochen +2 durfte ich endlich wieder in mein Elternhaus zurück. In der Verlängerung ,2 Wochen, war ich alleine in meinem Zimmer und unendlich einsam. Schulunterricht hatten wir keinen! Auch heute noch habe ich Angst vor Jemandem zu weinen, Angst vor dem Schlafen gehen, höre ich abrupt auf zu Essen, wenn Alle anderen schon fertig sind, hasse ich grosse Kantinen und Säle, denke mir immer noch: bloss nicht Auffallen beim Essen- bloss nicht Auffallen; hasse ich Nebel und habe Angst vor körperlichen Untersuchungen. Ich habe Borkum nie wieder betreten. Susie und ich schrieben uns noch eine Weile, aber das schlief dann auch ein.

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