Von: J.
Erfahrungsbericht
Anlass der Kinderverschickung:
Im Winter 1962/1963 erkrankte ich als damals 4-jähriger (geb. am 10.12.1958) an einer Lungentuberkulose. Das führte dazu, dass ich in der Zeit von April 1963 bis April 1964 in der Klinik Aprath bei Wülfrath (Landkreis Mettmann, Regierungsbezirk Düsseldorf) zur Heilbe-handlung untergebracht war.
Rahmenbedingungen in der Klinik:
Diese Klinik lag in einem Waldgebiet. Ein Ruhen in der Waldluft war nach damaligem medizinischem Wissensstand ein geeigneter Weg, um die erkrankten Patienten zu heilen. Der Tagesablauf gestaltete sich vor diesem Hintergrund wie folgt:
Nach dem Wecken mit anschließendem Anziehen und Frühstück wurden wir Kinder angewiesen, uns bis zur Mittagszeit hinzulegen. Dies erfolgte in einem Schlafsack auf einem Liegestuhl. Der Schlafsack war an dem Liegestuhl festgebunden, so dass wir nicht „unerlaubt“ aufstehen konnten. Die Liegestühle standen entweder auf dem Balkon oder in einer sog. Liegehalle. Die Liegehallen waren große überdachte Holzbauten, die aus drei Wänden bestanden. Die dritte Seite war offen, so dass frische Luft hineinkam, und dass wir Kinder während des Liegens freie Sicht nach draußen hatten. Nach dem Mittagessen wurden diese sog. „Liegekuren“ fortgesetzt bis zum späten Nachmittag oder bis in die Abendstunden. Anschließend gab es Abendessen und dann wurden wir Kinder zu Bett gebracht.
An warmen Tagen, oder wenn im Winter Schnee fiel, erfolgte am Nachmittag manchmal auch ein gemeinsamer Spaziergang durch den Wald. Aber das war eher die Ausnahme.
Medizinische Maßnahmen:
Die medizinischen Maßnahmen gestalteten sich wie folgt:
Nach dem Frühstück erhielt jedes Kind seine ärztlich verordneten Tabletten. Wir erhielten auch Spritzen, und es wurde Blut abgenommen. An manchen Tagen wurde auch die Körpertemperatur gemessen. In welchen Zeitabständen das Verabreichen von Spritzen, Blutentnahme und Messen der Körpertemperatur erfolgte, ist mir nicht mehr in Erinnerung. In unregelmäßigen Abständen wurden wir auch geröntgt oder durchleuchtet.
Diese vorgenannten Maßnahmen und die Liegekuren waren medizinisch indiziert, wenngleich die Liegekuren sehr anstrengend waren und viel Geduld erforderten.
Struktur der Klinik:
Die Klinik wurde von dem Chefarzt, Herrn Dr. K, geleitet. Wie ich dem Internet entnommen habe, war auch dessen Vater schon Chefarzt in der Klinik Aprath. Darüber hinaus waren weitere Ärzte, nach meiner Erinnerung vier bis fünf, in der Klinik tätig.
Unterhalb der ärztlichen Ebene gliederte sich die Klinik in mehrere Stationen.
Nach meiner Erinnerung gab es zwei Kinderstationen. Dort waren alle Kinder untergebracht, die – nach meiner Erinnerung – unter 10 Jahre alt waren. Auf diesen Stationen gab es sowohl Jungens als auch Mädchen. Aufgrund meines Alters, damals 4 bzw. 5 Jahre, war ich auf einer solchen Kinderstation. Meine Unterbringung war jedoch nicht kontinuierlich auf einer Station. Ich wechselte mehrmals zwischen beiden Stationen, bzw. ich wurde „versetzt“.
Dann gab es zwei Stationen für Jugendliche – nach meiner Erinnerung – ab einem Alter von 10 Jahren. Diese Stationen waren getrennt nach Jungen und Mädchen. Dazu sagten wir und auch unser Betreuungspersonal „die Großen“ und „die Mädchen“. Die Angehörigen meiner Station waren im dortigen Sprachgebrauch „die Kleinen“.
Es gab auch eine Station für erwachsene Frauen. Dazu sagten wir und das Betreuungspersonal „die Muttis“. Dieser Begriff kam wohl daher, dass auf meiner Station auch ein Junge untergebracht war, dessen „Mutti“ Patientin auf der Station für erwachsene Frauen war.
Die einzelnen Stationen waren wie folgt gegliedert:
Die Leitung der Station oblag einer Krankenschwester. Das waren damals auf den Kinderstationen Schwester I. und Schwester J. Diesen Krankenschwestern unterstanden mehrere Betreuerinnen. Nach meiner Erinnerung waren es fünf bis sechs Betreuerinnen. Wir Kinder redeten sie mit ihrem Vornamen und mit dem Zusatz „Tante“ an, also zum Beispiel „Tante R.“, „Tante W.“.
Umgangsformen im täglichen Ablauf:
Der Umgang der Krankenschwestern und der Betreuerinnen war geprägt durch zahlreiche körperliche und seelische Misshandlungen sowie persönliche Demütigungen, insbesondere durch häufiges Schlagen. Diese Züchtigungen erfolgten durch Ohrfeigen oder Schläge auf das – in der Regel – entblößte Gesäß mit der flachen Hand oder mit einem Stock. Die Gründe lagen meistens in geringfügigem Fehlverhalten, das für Kinder im Vorschulalter nicht als solches erkennbar war. In anderen Fällen wurden Kinder auch geschlagen, weil sie erbrochen oder im Schlaf ins Bett uriniert hatten, d.h. für Verhalten, das sie nicht willentlich steuern konnten. Wesentliche Verantwortung dafür trugen die Stationsschwestern, die dieses Verhalten sowohl selbst durchführten als auch anordneten oder bewusst und gewollt billigten.
Zu dem Essen, das wir bekamen, möchte ich anmerken, dass dies in der Regel ganz abscheulich schmeckte, so dass man es buchstäblich herunterwürgen musste. Es gab in der Regel Milchsuppe oder Milchbrei mit Haferflocken. Belegte Brote gab es selten. Wenn es welche gab, war das wie ein Festessen. Zum Nachtisch gab es nach dem Mittagessen gelegentlich Pudding oder Obst, was dann sehr gut schmeckte. Aber auch hier konnte es passieren, dass man den Nachtisch „zur Strafe“ nicht bekam.
Zwei besonders herausragende Fälle möchte ich nachfolgend schildern.
Fall 1:
An einem Morgen gab es, wie an den meisten Tagen, zum Frühstück Haferflockenbrei. Während des Essens verspürte ich Übelkeit und es kam zu einem Brechreiz. Geistes-gegenwärtig hielt ich den Teller vor meinen Mund, um Verschmutzungen auf dem Fußboden oder auf dem Tisch zu verhindern. Die Stationsschwester, Schwester J., war erbost darüber, dass sich mein Erbrochenes mit dem auf dem Teller verbliebenen Haferflockenbrei vermischt hatte. Aus Verärgerung sagte sie zu mir: „Das isst du jetzt alles auf!“ Unter Androhung von Schlägen setzte sie diese Anordnung durch, so dass ich den gesamten Inhalt des Tellers, d.h. den Haferflockenbrei und mein Erbrochenes, aufaß.
Fall 2:
An einem Abend wurde ich, wie die anderen Kinder, zu Bett gebracht. Eine Betreuerin, die wir Kinder mit „Tante G.“ anredeten, trat an mein Bett heran und fragte mich, ob ich „mal müsse“. Dies verneinte ich, da ich keinen Harndrang verspürte. Darauf antwortete die Betreuerin G.: „Du machst jetzt! Du kannst ins Bett machen.“ Auf meinen Einwand, dass dann meine Schlafhose nass werde, antwortete sie: „Das macht nichts. Du kriegst eine andere.“ Sodann schob sie meine Bettdecke beiseite, zog meine Schlafhose herunter und manipulierte an meinem Geschlechtsteil. Dabei wiederholte sie mehrfach die Worte: „Nun mach endlich, sonst hol ich den Ausklöpfer!“ Mit „Ausklöpfer“ war der Teppichklopfer gemeint. Trotz dieser Androhung von Schlägen urinierte ich nicht. Nach einer gewissen Zeit, deren Dauer ich heute nicht mehr abschätzen kann, beendete sie den sexuellen Übergriff, zog mir die Schlafhose wieder an und deckte mich zu. Diese Vorgehensweise wiederholte sie an mehreren aufeinander folgenden Abenden, ohne dass es tatsächlich zu einem Wasserlassen kam. Nach meiner Erinnerung waren es insgesamt drei Abende. Anonymisierungs-ID: aak