Von: L.T.
Verschickt aus (damaliger Heimatort) *: Gummersbach
Jetzt wohnhaft in: Bad Honnef
Name des Trägers: BEK
Kostenträger: BEK
Dauer der Verschickung: 6 od.8 Wochen
Bericht: Ich bin Jahrgang 1954.
Verschickungsgrund : zu dünn, immer rez.Bauchschmerzen –heute seit 45
chron.Migräne weiss ich, die Bauchschmerzen waren wahrscheinlich eine kindliche
Migräne. Das wusste damals keiner.
Ich sehe viele kleine Kinder auf dem Bahnsteig in Gummersbach. Alle ab in einen
Waggon. Trauriges , besorgtes Winken der Mütter.
Sie wollten etwas Gutes. Die Kinderärzte versprachen Besserung der diversen
kindlichen Beschwerden. Viele der Eltern sind höchstwahrscheinlich im 3.Reich “ auch
„Verschickungskinder “ gewesen — so war es nichts Neues für sie.
6 oder 8 Wochen ständige Angst. Angst vor Strafe, Angst, etwas falsch zu machen, Angst
völlig verlassen zu werden. Kaltschneuzige harte “ Tanten “ ,nur einige junge Mädchen,
die als Aufpasserinnen fungierten zeigten etwas Wärme.
Eins war aber klar: Angst, Angst, Angst. Meine Zöpfe mussten abgeschnitten werden, als
ich wieder zu Hause war, weil nie gekämmt. Bei einem Versuch im Heim, zu kämmen
nach 3 Wochen brach die Bürste meiner geliebten Mutti ab und wurde weggworfen.
Überhaupt wurde alles, was Dich an zu Hause erinnerte weggeworfen oder weggesperrt
(meine geliebte Babypuppe).
Ekelhafte zerfledderte Brote mit Sülze aufs Wachstischtuch vor uns geschmissen….
Das gerade Stehen mitten im Jungens – Esssaal. Nur ja nicht bewegen!!!
Ob auch sexuelle Übergriffe waren, weiß ich nicht und hoffe auch nicht. Die sanitäre
Situation war eine Katastrophe. Toilettengänge nur zu bestimmten Zeiten. Wir standen
in langer Schlange vor einer (!)Toilette und sollten auf Anhieb als kleine Kinder
„funktionieren“- wenn nicht , Pech gehabt….
Das Heim wurde soweit ich mich erinnere, sofort nach unserer Rückkehr von der BEK
gerschlossen.
Ich bin in einem sehr liebevollen Elternhaus aufgewachsen und erinnere mich, wie ich
stundenlang vom “ Kinderheim “ erzählt habe, immer wieder ,vor allem meiner Mutter,
bei, Abtrocknen, wenn sie bügelte etc….
Ich glaube, ich hätte nie wieder intensiv an die Zeit gedacht, wenn nicht immer mehr in
den Medien berichtet wurde und wird. An den Namen des Heims erinnere ich mich
nicht.
Ein dunkler Bau ist es in meiner Erinnerung. An die Salinen erinnere ich mich, an diese
schreckliche ovale Badewanne mit Heilwasser od was auch immer, wo wir nackt mit
vorgestreckten Armen gefühlte Stunden sitzen mussten und uns nicht bewegen durften.
Danach gab s alledings ( auch zerfledderte ) Teilchen von den doch auch netten jungen
Mädchen verteilt. Die „Tanten“ waren gruselig.
Alles in allem eine von den Eltern, Krankenkassen und Kinderärzten (damals nur
Männer ) bestimmt nicht gewollte!!, unbewusste Fortsetzung von Nazistrukturen….
Wie gesagt, das Heim ist danach geschlossen worden.
Ich habe gezögert, mich mit diesen Erinnerungen zu beschäftigen — aber merke jetzt,
dass sich einige Dinge in meiner psychischen und physischen Struktur etwas erklären
lassen durch diese kindliche Erfahrung ( z.B. Schwierigkeiten, zu vertrauen… ).
Das wäre für mich ein Plus des Erinnerns. Da ich mich aber bewusst nicht weiter mit
dieser Zeit intensiv beschäftigen will, würde ich Dich bitten, mir kurz auch die Intention
des Vereins oder insgesamt der Aufklärung zu beschreiben. Allein die Tatsache , dass
man Dinge aus dem Unbewussten anguckt, ist ja schon mal gut. Rückgängig machen und
Forderungen aus den Geschehnissen abzuleiten, kann man ja nicht.
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