Von: B. V.
Verschickt aus: Essen
Träger: Caritas
Heim: St.-Josefsheim
Im Sommer 1963 wurde ich, damals in Essen wohnend, für 6 Wochen in das St.-Josefsheim,
Kindererholungsheim der Caritas nach Vechta verschickt.
Ich wurde verschickt, weil ich mit zum Verschickungszeitpunkt 6 Jahren (geb. 18.04.1957)
1963 noch nicht eingeschult wurde, weil angeblich noch nicht schulreif genug.
Im Heim angekommen bekam ich ein Bett im Massenlager mit etwa 30 Jungen. Es herrschte
ein zackiger Umgangston der Ordensschwestern zu uns.
Gleich am nächsten Tag begannen die negativen Gegebenheiten.
Beim Mittagessen musste sich ein Mädchen an meinem Tisch übergeben. Das Erbrochene
wurde von der Ordensschwester auf dem Teller vom „Guten“ getrennt und das Mädchen
musste unter ständigem weinen aufessen.
Wer nicht aufessen wollte, der musste so lange unter Androhung von Bestrafung (u. a.
Schläge auf die Finger) am Tisch verbleiben, bis er aufgegessen hatte.
Über Mittag wurden die Toiletten abgeschlossen. Ein Junge in meiner Gruppe musste
dringend das große Geschäft verrichten und machte es aus Verzweiflung in ein
Waschbecken im Waschraum.
Eine Ordensschwester bemerkte es und fragte, wer das war.
Wir hielten dicht. Da nahm sie den Kot mit der blanken Hand aus dem Waschbecken und lief
wütend damit weg.
Ich fand die Situation lustig und lachte ihr laut hinterher.
Nach einer Weile kam sie zurück, packte mich grob am Arm und ich musste auf dem Flur für
etwa 2 Stunden im abgeschlossenen, stockdunklen Schuhschrank stehen. Hinsetzen konnte
ich mich nicht, dafür war der Schrank zu schmal.
Nachts konnten wir im Schlafsaal nur in einen großen Eimer pinkeln. Als ich musste,
gesellten sich ältere Jungen dazu und machten sich einen Spaß daraus mich anzupinkeln.
Als ich mich bei der Nachtschwester daraufhin umgehend darüber beschwerte, dufte ich
keinen trockenen Schlafanzug anziehen sondern musste im nassen schlafen.
Ich bekam eine Erkältung mit Fieber und kam auf die Krankenstation.
An einem Tag bekam ich am Mittag Hühnersuppe im Bett serviert.
Da ich als 6 jähriger mit dem Suppenteller in Bett nicht recht balancieren konnte verschüttete
ich Suppe auf mein Kopfkissen.
Ich bekam kein anderes Kopfkissen von den Ordensschwestern sondern musste noch
weitere 2 Tage auf dem verschmutzten Kopfkissen schlafen.
Ich durfte einer Angestellten jungen Frau einen Brief nach Hause diktieren.
Natürlich diktierte ich, was mir nicht gefiel im Heim.
Bei meinen Eltern kam ein Brief mit dem Inhalt an, dass ich es super toll im Heim finden
würde und es mir prima ginge.
Negative und für uns Kinder erniedrigende Vorfälle gab es, soweit ich mich erinnern kann,
jeden Tag.
An sexuelle Übergriffe auf mich kann ich mich nicht erinnern.
Als ich nach 6 Wochen am Essener Hauptbahnhof Zuhause ankam, fiel ich meiner Mutter
weinend in die Arme.
Ich erzählte meinen Eltern alles, was im Heim vorgefallen war.
Mein Vater schrieb einen Beschwerdebrief an das zuständige katholische Bistum als
Oberaufsicht über das Heim. Die Antwort von dort war, ich hätte wohl eine zu lebhafte
Phantasie.
Meine Eltern berichteten mir später, als ich schon Erwachsen war, dass ich wochenlang nach
dem Heimaufenthalt sehr verschlossen gewesen sei und kaum ein Wort gesprochen hätte.
Erst etwa ein halbes Jahr nach dem Heimaufenthalt wäre ich wieder einigermaßen normal
gewesen in meinem Verhalten.
Ich möchte nicht sagen, dass mich die Ereignisse von damals nach meinem Empfinden
dauerhaft negativ im Verlaufe meines Lebens beeinflusst haben, doch kommen mir bis heute
ab und zu die Erinnerungen an das damals Geschehene hoch, besonders wenn ich aus den
Medien entnehme, wie lange das noch ging mit dem Kinder verschicken und der Qualen für
die Kinder.
Meine beiden jüngeren Geschwister haben meine Eltern aufgrund der von mir gemachten
Erfahrungen nie in die Verschickung gesandt.
Sehr gerne dürfen Sie meinen Bericht öffentlich machen.
Anonymisierungs-ID: asb