59425 Unna-Königsborn, 1964/65

Schläge mit allem, was man zu fassen bekam. Tennisschläger, Schuhe, Hände, Stöcke,...

Von: S.E.

Verschickungsheim: Kindererholungsheim Unna-Königsborn; Träger (soweit ich weiß) Gesundheitsamt Marl/NRW

Zeitraum-Jahr: ca. 1964/1965
Wir, d.h., meine beiden älteren Schwestern und ich wurden ca. 1964/1965; also, ich war so. ca. 5 Jahre alt, nach diesem „Erholungsheim“ verschickt, da wir Schatten auf den Lungen hatten und dass damals zuständige Gesundheitsamt der Meinung war, dort könnten wir uns erholen. So für ca. 2/3 Monate.

An was ich mich erinnere, war die Grausamkeiten und die „Zucht“, die es dort gab.
Jedes, also wirklich jedes Essen musste man essen und zwar, den Teller leer essen.
Wer nicht konnte oder wollte oder die Mahlzeit nicht mochte, musste am Tisch sitzen bleiben, bis er/sie alles aufgegessen hatte. Egal, wie lange es dauerte.
Wer sich übergeben musste und sich ins Essen erbrach, „durfte“ das Ganze aufessen. Wenn es sein musste, mit etwas „Hilfe“. Die (ich schreibe mal) Schwestern haben unter Zuhilfenahme von Gewalt den Mund geöffnet und mit Gewalt den Löffel oder die Gabel mit der Speise eingegeben.
Wer „unartig“ war, und Kinder sind nun mal nicht immer lieb und artig, wurde geschlagen oder in die Schuhkammer eingesperrt oder musste nachts alleine im riesigen Schlafsaal nächtigen.
Toilettengang war zum letzten Mal so ca. 19:00 h/20:00 h und wehe, man musste vl. später noch einmal zur Toilette.
Das wurde bestraft. Vor lauter Angst, meldete man sich nicht und nässte ein und DAS wurde dann auch bestraft.
Egal, was man machte, Strafen gab es täglich, stündlich, immer!
Ich habe oft die „Schwestern“ vor meinem Auge. So adrett und in einem weißen, stark gestärkten Schürzchen und der weißen Haube.
So lieb und nett anzusehen. Aber sie waren der Teufel in Persona; ich würde sogar HEUTE schreiben „Altnazis“.
Schläge mit allem, was man zu fassen bekam. Tennisschläger, Schuhe, Hände, Stöcke,
Einsperren in dunklen Räumen.

Die Gegend dort war wirklich schön und wenn man sich hätte so bewegen können, wie man wollte, wäre das eine schöne Zeit gewesen.
Spaziergänge in Viererreihe; vorne die kleinsten und hinten die größten Kinder, um diese Kinder ein Seil, welches am Ende von jeweils einer Schwester festgehalten wurde.
Vorwärts im Gleichschritt und ein gar „lustiges“ Lied auf den Lippen. Also, Marschlieder; wie bei der Bundeswehr oder der Wehrmacht ?!

Wir bekamen auch Penicillin-Spritzen, während des Aufenthaltes. Täglich.
Wie das vor sich ging?
Es wurde am Ende des Speisesaals ein Hocker aufgestellt. Man war in Reih‘ und Glied. Am Hocker, Hose, Strumpfhose oder dergl. herunter, über den Hocker beugen und WUMMS, wurde die Spritze gegeben. Das tat höllisch weh!
Hier war auch egal, ob Junge oder Mädchen. Es gab KEINE Trennung der Geschlechter.
NIE!
Dort hatte ich auch meine Mandel-OP.
Wenn man jetzt denkt oder meint, ach, das ist doch nicht so schlimm. DOCH, war es.
Ich wusste nicht, was da auf mich zu kam.
Ein anderer Trakt; Krankenstation. Dort ein Gitterbett. Im gleichen Zimmer, also wo ich war, ein Junge, der auch operiert werden sollte.
morgens gab es eine Tablette. Die beruhigte. Dann ging man in den OP. Dort war ein Stuhl. Man wurde angeschnallt an Füssen, Beinen Armen und Kopf. Der Mund wurde mit einer Art „Maulsperre“ geöffnet und fixiert.
Dann bekam ich eine Spritze, die mir wohl die Schmerzen nehmen sollte und ich konnte mich nicht mehr wehren und schreien.
NIX VOLLNARKOSE !
ALLES IM VOLLEN BEWUSSTSEIN !
Ich habe immer noch das „Gerät“, mit welchem die Mandeln entfernt wurden, genau vor meinen Augen. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel geweint, da ich ja nicht Schreien konnte !
Und dann dieses knirschende Geräusch, als die Mandel „abgeschnitten“ (?) wurden.
Meine Albträume gingen jahrelang auch in diese Richtung.
Man hat mich angeschrien, ich solle nicht rumplärren und hat mich nach der OP recht unsanft in mein Bett verfrachtet; eher geschmissen.
EIN Positives gab es dort auf dieser Station: 1. das Eis und 2. die einzig nette Schwester (sehr jung noch), die dem Jungen und mir Märchen vorlas.
Als ich dann von dort wieder auf die „normale“ Station musste, habe ich Zeter und Mordio geschrien.
Es hat nichts genutzt.

Zu meinem 6. Geburtstag, den ich dort erleben durfte, haben meine Eltern mir ein Paket geschickt.
Man hat es mir gezeigt, was in diesem Paket enthalten war. Wohl gemerkt: GEZEIGT. Lauter leckere Süßigkeiten und ein Brief.
Danach habe ich nichts mehr davon gesehen; geschweige denn, man hat mir den Brief vorgelesen.

Als uns unsere Eltern einmal besucht haben, erzählten wir drei ihnen, was da vor sich geht. Also, natürlich in kindlich naiver Sprache.
Sie haben uns NICHT geglaubt.
DAS war der größte Verrat !

Ab da habe ich mich verändert und mein Leben war, ja, wie im Erholungsheim……….
Jetzt bin seit Jahren in Therapie, Frührentnerin, da mir nicht nur das Heim im Nacken hängt, sondern auch die folgenden Erlebnisse in meinem Leben; denn mein Leben ist so wie im Heim verlaufen.
Ich habe schwere PTBS mit schweren Depressiven Störungen, Angststörungen, chron. Schmerzsyndrome mit Somatischen und Psychischen Faktoren, usw. usw und
Alles fing mit dem Heim an. Die Spirale nach Unten war angesetzt aus Verrat, Vertrauensbruch, Gewalt, Hass, Lieblosigkeit, psych. und phys. Gewalttaten!
Ergo, ich bin fertig, kaputt.

Danke Unna-Königsborn!

Anonymisierungs-ID: afk

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