65307 Bad Schwalbach, 1966, 1968

„Am Morgen roch immer alles nach Urin.“

Von: V.Z.
Name des Trägers: Vielleicht Gesundheitsamt,
Kostenträger: Vielleicht Barmer Ersatzkasse
Verschickungsort: Kinderkurheim Reinhardshausen

Dauer der Verschickung: Jeweils 6 Wochen
Bericht: 1966 gab es eine Tante R., die sehr lieb war zu mir.
1968 war es ganz schlimm, vielleicht hieß die Tante M.
Sie schrie immer nur, deshalb war sie auch heiser.
Ich musste zuschauen, wie ein zartes Mädchen sein erbrochenes wieder aufessen sollte. Eine
korpulente Tante stand hinter ihr mit Drohgebärde. Das Mädchen schaute mich unentwegt an, hielt
sich an meinem Blick fest. Sie tat mir unendlich leid. Aber ich konnte nicht helfen.
Ich war umgeben von bettnässenden Mädchen. Am Morgen roch immer alles nach Urin. Ich selbst war
davon nicht betroffen. Hatte Blasen Probleme. Beim Frühstück musste jedes Kind sagen, vor allen, ob
es ins Bett gemacht hat oder nicht. Ich war fast die Einzige, die nicht ins Bett gemacht ha.
Bei mir wurden Urinuntersuchungen gemacht, für die ich Unmengen von Wasser trinken musste. Was
sehr sehr unangenehm war. Dafür brachte man mich für einen Tag in die Krankenstube. Diese war in
meiner Erinnerung in dem schindelbedeckten Haus.
Beim Schlafen durften wir nicht reden.
Ich weinte immer heimlich, so, dass man es nicht sehen konnte.
Wir spielten immer voller Leidenschaft hinter dem Haus im Wald:
Familie!
Ich habe noch ein Foto.
Auch mit dem Mädchen, welches das erbrochene wieder essen sollte. Ich esse bis heute gerne Brei und
Butterbrot. Ich denke, dadurch ist mir viel erspart geblieben.
Die letzten Minuten vor der Heimfahrt zogen sich endlos in die Länge, ich saß in einem gelb
gestrichenen Raum, und dachte, sie kommen nicht… endlich kamen sie. Ich wurde in einem Auto
abgeholt. Als ich nach Hause kam, konnte ich mich erst mal gar nicht so freuen.
Das geschilderte betraf jetzt den 2. Aufenthalt.
Ich sehe mich damals als eine beobachtende, die genau wusste, dass hier ein großes Unrecht geschieht,
und die wusste, wie man sich da unbemerkt durchkämpft.
Ich sah zum Beispiel, dass Tante M. total überfordert war.
Und ich habe meine Schlüsse aus allem gezogen, unbemerkt für diese Menschen.
Ich weiß aber, dass ich täglich unendlich traurig war.
Vielleicht bin ich auch deshalb 30 Jahre als Körper Therapeutin tätig gewesen, in der Psychiatrie
Solidarische Grüße
Anonymisierungs-ID: ang

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