87474 Buchenberg, 1976

Puddingverbot für 6-jährige

Von: S.
Verschickt aus (damaliger Heimatort) *: Osnabrück
Jetzt wohnhaft in: St.Gallen (CH)
Kostenträger: Barmer Ersatzkasse
Dauer der Verschickung: 6 Wochen?
Bericht: Ich war 6 Jahre alt. Ich erinnere mich an das Großraumbüro der Barmer, die Freude
meiner Mutter, schau, du darfst ins Allgäu fahren. Im Kern ging es darum, dass ich
abnehmen sollte. Ich war gar nicht so sehr übergewichtig, einfach n bisschen pummelig.
Meine Mutter aber fand, dass das ja ne tolle Gelegenheit wäre. Man kann da hinfahren, die
Krankenkasse zahlt, das Kind kommt erholt und schöner zurück. Eine sehr seltsame
Mentalität war das. In unserer Familie gab es immer mal wieder jemanden, der zur Kur fuhr.
Ein Onkel wegen seinem Herzen, ein Onkel wegen seinem Rücken. Das hatte ich bereits
erlebt und nun hatte ich das Glück, das ich reisen durfte. Ich kann mich nicht erinnern, wie
ich mich gefühlt habe. Ob ich Angst hatte, ich weiß es nicht. Ich erinnere mich als nächstes
an die Abfahrt. Bahnhof Osnabrück, Koffer, andere Kinder und dann ein Abteil in einem Zug.
An anderen Orten würden noch andere zusteigen. Wir zogen alle Sitze aus, zogen die
Vorhänge zu, hatten eine durchgehende Liegefläche, auf der wir spielten. Es gab Malbücher.
Es war ein lustiger Ausflug. Ich war unglaublich aufgeregt und ich weiß, dass der Zug
unendlich lang fuhr. Ich kann mich an wenig erinnern dort im Kinderkurheim. Nur so einzelne
Bilder poppen auf.
Das 5er-Zimmer. Mein Bett vorn links. Im Flur davor ein Stuhl aufgestellt, wo der Kopf nach
Läusen abgesucht wurde.
Spaziergänge durch die Umgebung. Für mich dabei unvergesslich – das Wasser. Ich war ein
Stadtkind und irgendwie meistens in der Wohnung gewesen. Jetzt im Frühling dort im Allgäu
lagen noch Reste von Schnee, aber überall sprudelte Wasser in meiner Erinnerung. Bäche
und Brücken. Das hat mich unglaublich beeindruckt. Ich erinnere mich an so etwas wie einen
Skikeller, wenn wir heimkamen. Gummistiefel, dicke Jacken.
ich meine, wir hätte oft gesungen, aber da bin ich mir schon nicht mehr so sicher. Woran ich
mich klar und deutlich erinnern kann, mit Gefühlen und Details, ist das Essen. Zu wenig
Essen. Die grosse gemütliche Stube, alles aus Holz, Bänke an den Wänden. Der Tisch der
dicken Kinder hinten links, ich sitze auf einer Bank am Fenster in der Ecke. Am Morgen
gehen Tabletts herum mit geschmierten Broten. Es ist so ein graues Mischbrot, mit Butter
und Erdbeermarmelade, die von der Sorte, die kein schönes Rot hat, sondern eher so
bräunlich ist, manchmal auch gelbe Aprikosenmarmelade. Dazu gibt es Tee. Wir dürfen zwei
halbe Scheiben nehmen. Am Abend dasselbe mit Wurst und Käse,
An allen anderen Tischen sitzen die dünnen Kinder. Sie dürfen so viel nehmen, wie sie
wollen. Sie wollen bloß nicht…sie finden die Brote eklig. Brote wandern unterm Tisch zu uns
rüber. Ich traue mich sowas nicht, ich habe Angst erwischt zu werden.
Für die dünnen Kinder gibt es warmen Pudding. Welchen gibt es heute? Eine wichtige Frage.
Sehnsüchtig schaue ich rüber zum dampfenden Vanillepudding. Manchmal gibt es auch
Schokolade oder Erdbeere. Diese Sehnsucht nach dem Pudding an den Nachbartischen ist
neben den plätschernden Frühlingsbächen meine stärkste Erinnerung. Und wie kann es
sein, dass die Kinder den nicht essen wollen? Wir würden so unglaublich gern. Wir dürfen
nicht.
Der Sonntag ist ein Ausnahmetag, es duftet schon morgens anders. Da gibt es zum
Frühstück auch für uns zwei halbe Brötchenhälften mit Honig. Und eine Tasse warmen
Kakao. Sonntagsglück.
Anonymisierungs-ID: asc

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