Von Silke Ottersbach
Ein historischer Tag für Verschickungskinder in Deutschland
Am 30. Juli 2025 war es so weit: Nach Jahren der Gespräche, Rückschläge und unermüdlicher Arbeit haben wir auf Borkum die erste Erinnerungsskulptur für Verschickungskinder in einem deutschen Inselkurort am Meer eingeweiht.
Für mich als ehemaliges Verschickungskind war dieser Tag nicht nur ein Meilenstein, sondern auch ein Stück Heilung – und ein Zeichen, dass Aufarbeitung sichtbar werden kann.

Warum wir eine Erinnerungsskulptur auf Borkum wollten
Viele von uns wurden als Kinder auf Borkum in das Adolfinenheim und anderen Heimen verschickt. Auf Borkum gab es über 33 Verschickungsheime. Dort haben viele Kinder Gewalt, Trennung und Demütigungen erlebt. Unser Ziel war ein öffentlich zugänglicher Erinnerungsort, an dem Betroffene innehalten, ins Gespräch kommen oder einfach schweigen können. Ein Ort, der klar macht: Wir waren da. Unsere Geschichten zählen.
So fanden wir den richtigen Standort für die Skulptur
Ursprünglich wünschten wir uns einen Platz im öffentlichen Raum. Doch nach langen und teils enttäuschenden Gesprächen bot uns Pastor Schulze gemeinsam mit der ökumenischen Kirchengemeinde ein Grundstück am Friedhof direkt am ehemaligen Adolfinenheim an.
Der Standort ist ideal: direkt am Weg zum Südstrand, gut sichtbar für Einheimische und Gäste – und mit symbolischer Nähe zu unserem Verschickungsort.
Die Einweihung am 30. Juli 2025 – ein Tag voller Emotionen
Schon am Vortag war klar: Es würde emotional werden. Presse, NDR, Fototermine – und am Abend ein Treffen mit Betroffenen, Pastor, Kirchenvorstand.
Am Morgen der Einweihung lief ich zwischen Feuerwehrhaus, Catering-Organisation und Interviews hin und her. Kurz vor halb zwölf gingen wir gemeinsam zum Friedhof. Dort warteten bereits viele Menschen: Betroffene, Inselbewohner, Besucher und Kirchenvertreter, die uns auch finanziell unterstützt haben.


Die Rede von Pastor Schulze und Bildungsreferent Andreas Langkau waren voller Empathie. Sie sprachen von seelischen Wunden, von der Notwendigkeit des Zuhörens, von Versöhnung.
Dann wurde die Erinnerungsskulptur enthüllt: mit zwei seitlich angebrachten Texttafeln – eine vom Bildhauer Friedhelm Welge, selbst als Kind in das Borkumer Heim Sancta Maria verschickt, die andere Seite von unserer Borkumer Gruppe erarbeitet.
Vor der Skulptur liegt ein Muschelfeld, auf dem Gäste Muscheln ablegen können – ein stilles Zeichen der Verbundenheit.
Nach der offiziellen Enthüllung sind wir ins Feuerwehrhaus gegangen und dort gab es sehr wertvolle Wortbeiträge unter anderem von Schwester Maria Cordis Reiker und der Bremener Landesdiakoniepastorin Karin Altenfelder, die auch dazu beigetragen haben, dass der Erinnerungsort so umgesetzt worden ist.

Foto: Stefan Müller

Foto: Stefan Müller

Foto: Andreas Behr, Borkum Aktuell
Begegnungen, die Brücken bauen
Besonders bewegt haben mich zwei Begegnungen:
Eine frühere Mitarbeiterin war anfangs gegen die Skulptur. Sie hat sich furchtbar aufgeregt. Dann habe ich mit ihr gesprochen und meine Geschichte erzählt – am Ende hat sie mich sogar eingeladen, bei meinem nächsten Besuch auf einen Tee vorbeizukommen.
Eine ehemalige Erzieherin hat mich über die sozialen Medien kontaktiert, um sich zu entschuldigen. Sie hat bestätigt, dass wir Erbrochenes aufessen mussten. Sie war 22 Jahre und konnte nichts tun. Diese Gesten zeigen mir: Sie ist auch bereit, mit Verschickungskindern zu sprechen. Sie war von Mai bis August 1979 dort beschäftigt und steht Gesprächen mit Betroffenen offen gegenüber. Kontaktaufnahme über unsere Borkumaustauschgruppe möglich: borkum@verschickungsheime.de. (Silke, Regina und Uwe). Aufarbeitung kann Brücken bauen.
Was die Erinnerungsskulptur für uns bedeutet
Heute steht die Skulptur fest verankert – als Ort der Erinnerung, des Dialogs und der Begegnung. Sie wird bleiben. Wer vorbeikommt, kann lesen, nachdenken, reden – oder einfach still sein. Viele Passanten bleiben stehen, und Gespräche entstehen spontan. Für uns ist das ein Erfolg, der über Borkum hinausstrahlt.

Foto: Stefan Müller
Mein persönlicher Ausblick
Ich bin dankbar für jede Unterstützung, die wir auf Borkum erfahren haben – und hoffe, dass dieser Ort anderen Betroffenen Mut macht. Jede Erinnerungsskulptur ist ein Stück sichtbare Geschichte – und ein Zeichen: Wir waren da. Unsere Geschichten zählen.
Tipps für andere Initiativen – so gelingt ein Erinnerungsort
Wer in seinem ehemaligen Verschickungsort eine Erinnerungsskulptur plant, sollte Folgendes beachten: werden
- Bleibt beharrlich – auch wenn es lange dauert und es Rückschläge gibt.
- Sucht Verbündete vor Ort – Kirchen, Vereine, Privatpersonen.
- Teilt die Arbeit – Organisation, Öffentlichkeitsarbeit, Kontaktpflege sind anspruchsvoll.
- Geht in den Dialog – auch mit Menschen, die zunächst ablehnend reagieren.
- Lasst euch nicht entmutigen – am Ende lohnt sich jede Mühe.

Zur Person:
Silke wurde 1979 aus NRW für sechs Wochen zur Kur in das Adolfinenheim auf Borkum verschickt zusammen mit ihrer älteren Schwester. Nach der Ankunft wurden die Geschwister sofort getrennt. „Nach der Kur war meine Kindheit vorbei.“ Silke ist mit Regina Konstantinidis und Uwe Rüddenklau Heimortkoordinatorin Borkum, Mitglied in unserem NRW-Verein und in der ‚Bundesintiative Verschickungskinder e.V‘.
Link zum Beitrag der Bundesinitiative Verschickungskinder:
BORKUMER Verschickungskinder freuen sich – Einweihung der Erinnerungsstätte auf BORKUM am 30.Juli 2025