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14482 Glienicke
59556 Bad Waldliesborn

Taschengeld und ´Sonntagssachenwaren´ und blieben weggeschlossen, Briefe nach Hause, wie gut doch alles sei, wurden diktiert.


Von: H.H.
Als Berliner Kind war ich zweimal verschickt.
Zum ersten Mal innerhalb der Stadt in das Jagdschloss Glienicke. Das war mit 4 oder 5 Jahren,
jedenfalls noch vor der Schulzeit. Meine Erinnerungen: Klopapier wurde knapp zugeteilt, eine
Wand zwischen den Toiletten gab es nicht oder kaum. Einem Jungen, der im Bett erzählte, er
würde gerne Kartoffelsalat essen, wurde der Hintern versohlt mit den Worten „Da haste deinen
Kartoffelsalat!“. Als es an die Heimfahrt ging und alle anderen Kinder schon im Bus und teilweise
schon abgefahren waren, waren nur ich und noch ein Junge übrig und sie wussten nicht, wohin
mit uns. Das Gefühl der Verlorenheit, dort bleiben zu müssen …
Das zweite Mal war viel schlimmer. Ich war 7 Jahre alt. Verschickung nach Bad Waldliesborn bei
Lippstadt in ein katholisches Heim: Mir fremdes Beten vor dem Essen war da noch das Wenigste.
Taschengeld und „Sonntagssachen“ waren und blieben weggeschlossen, Briefe nach Hause, wie
gut doch alles sei, wurden diktiert. Aber diese beiden Ereignisse waren die krassesten: Wir
wurden für ein Kabarett-Stück missbraucht. Mit Boxhandschuhen musste ich einen Kampf mimen
und dabei für mich natürlich völlig unverständlichen Text von mir geben, in dem Adenauer
vorkam. Nach dem Stück konnten wir sehen, wie wir wieder aus den Boxhandschuhen kamen,
niemand half. Das zweite war, dass wir in eine „Gaskammer“ (vielleicht im Kurhaus) kamen, in der
ein Inhalationsgemisch aus Düsen an der Decke kam. Niemand wusste, was das ist und wofür das
sein sollte. Auch die Mitkinder taten das Ihre: Auf einer sumpfigen Wiese des Geländes schmissen
sie Frösche durch die Gegend. Und die Krönung: einer gefundenen Postkarte an mich von damals
entnehme ich, dass meine Gruppe „Immerfroh“ hieß!
Und diese traumatisierenden Horrortrips bedeuteten ja schon ohne all diese Vorkommnisse eine
ungewohnte, lange, völlige und teilweise weit entfernte Trennung von der Mutter und den
Großeltern, lediglich durch erhaltene Post abgemildert. Bis ins Alter schleppt man diesen
prägenden Mist mit sich rum, weit davon entfernt, die Verantwortlichen und Verursacher zur
Rede stellen oder anzeigen zu können, die ja längst nicht mehr leben.
Anonymisierungs-ID: acu

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