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23669 Niendorf

Zitat: „Beim Zähneputzen haben wir "heimlich" Wasser getrunken um unseren Durst zu lindern.“



Von: P.M.
Sehr geehrte Damen und Herren,
auch ich habe bei einer solchen “Kinderlandverschickung” (welch ein Wort…) unliebsame Dinge
erfahren müssen.
Einige Dinge sind mir noch heute gut im Gedächtnis, obwohl ich noch so jung war.
Manches davon ist heute undenkbar, im Alter von erst 6 Jahren wurde ich zusammen mit
meinem Freund und Nachbarsjungen, der noch ein Jahr jünger ist, von meinen Eltern in die
Obhut wildfremder Menschen gegeben und zur “Kur” an die Ostsee geschickt.
Eigentlich ohne erkennbaren oder gar medizinisch notwendigen Grund. Ich war kerngesund
und, wie auf den wenigen Fotos aus der Zeit zu sehen, auch
nicht unterernährt. Im Gegenteil, unsere Ernährung war wegen des großen eigenen Gartens aus
heutiger Sicht “voll Bio”, viel Gemüse und Obst, Fleisch sowieso nur sonntags.
Ausrichter der Kur war irgendeine katholische Institution und die Betreuung vor Ort sollte
durch Ordensschwestern erfolgen.
Der unerschütterliche Glauben meiner Eltern an die Kirche und ihr Bodenpersonal wähnte mich
in den besten Händen…
Im Hauptbahnhof Köln wurden wir zwei Steppkes in den Zug gesteckt und fuhren mit einer
Gruppe Gleichaltriger nach Niendorf an der Ostsee in ein
sogenanntes Kindererholungsheim.
Direkt nach der Ankunft wurden uns die wenigen Süßigkeiten, die wir als Wegzehrung von den
Großeltern bekommen hatten, mit folgender Begründung abgenommen: Kommt alles in einen
großen Topf und wird zu gleichen Teilen an alle Kinder gerecht verteilt.
Weder wir, noch die Anderen haben je etwas davon bekommen.
Und Süßigkeiten waren damals etwas anders als zur heutigen Zeit im Überfluss…Diese Anekdote
ist mir am schlimmsten in Erinnerung geblieben.
Noch heute wünsche ich den Nonnen, dass sie beim Verzehr unserer Schokolade schlimmsten
Brechdurchfall bekommen haben.
Ab Nachmittag bekamen wir keine Getränke mehr, wahrscheinlich um das Bettnässen aus
Heimweh in der Nacht zu verhindern.
Beim Zähneputzen haben wir “heimlich” Wasser getrunken um unseren Durst zu lindern.
Trotzdem haben einige Kinder ins Bett gemacht und wurden vor versammelter Mannschaft von
den Nonnen als Bettnässer beschimpft und gedemütigt.
Einen Vorfall, dass ein Kind sein Erbrochenes aufessen musste, habe auch ich erleben müssen,
unglaublich.
Nach einiger Zeit wurde mein Freund krank und wurde in die “Krankenstation” verlegt. Aus der
Angst jetzt ganz alleine zu sein, hat mein Körper ebenfalls auf krank geschaltet und ich konnte
ihm auf die Station folgen. Dies war für uns beide ein großes Glück. Die Krankenschwester war
eine junge Frau, die uns liebevoll betreut hat. Vielleicht hat das meinen Glauben an die
Menschlichkeit in den jungen Jahren noch ein wenig erhalten.
Nach vielen Jahren habe ich zuhause eine Postkarte gefunden, die damals an meine Eltern
geschickt wurde, da ich noch nicht selbst schreiben konnte.
Darin stand sinngemäß: Alles toll, Wetter und Essen sind gut, die Betreuer sind ganz lieb, es ist
soo schön hier zu sein. Perfider gehts nicht mehr.
Erst nach vielen Jahren habe ich meinen Eltern von den Erfahrungen berichtet, aber sie haben
mir nicht wirklich geglaubt was nicht sein darf.
Im Verdrängen ist diese Generation ja auch sehr geübt. Ich mache ihnen aber inzwischen keinen
Vorwurf mehr. Aber das ist ein anderes Thema…
Ich glaube, dass ich kein wirkliches Trauma aus den Erlebnissen bekommen habe, die
Misshandlungen waren ja vergleichsweise weniger schlimm,
jedoch hat es mir ein Stück meines Urvertrauens genommen.
Eigentlich schlimm genug.
Es ist bedauerlich, dass es anscheinend so viele Menschen gibt die solche Erfahrungen machen
mussten und noch heute unter den Folgen leiden.
Vielleicht hilft ihre Aufklärungsarbeit darüber. Dafür möchte ich Ihnen danken.
Mit freundlichen Grüßen

PS: Mit der Veröffentlichung meiner Mail oder der Inhalte bin ich einverstanden, jedoch
natürlich nur in anonymisierter Form.
Anonymisierungs-ID: adn

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