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25826 Sankt Peter-Ording, 1957

.bis zum Abend alleine vor meiner kalten Suppe sitzen, bis endlich die Heimleiterin auftauchte und feststellte, dass ich Fieber hatte.

Von: R.H.

Mit 10 wurde ich wieder einmal auf die Reise geschickt, wieder zur Erholung, diesmal aber nach Sankt Peter-Ording an die Nordsee. Die Betreuerinnen waren noch von der harten Sorte, denn Ohrfeigen gehörten zum Tagesablauf.

Durchfall grassierte irgendwann und aus meinem 8-Personen-Schlafraum hatten sich die meisten schon Ärger mit den Betreuerinnen eingehandelt, weil sie in die Hose gemacht hatten. Auf dem Rückweg von einer der täglichen Wanderungen war es bei mir auch soweit – nirgendwo war ein Gebüsch oder auch nur ein Strauch zu sehen und der Weg noch lang – da ging es auch bei mir in die Hose. Ich habe aber in jeder Hinsicht dichtgehalten – weder ist etwas entwichen, noch habe ich mich geoutet.

Zurück im Heim habe ich mich auf die Toilette zurückgezogen, die versaute Unterhose über einen großen Mülleimer entsorgt und die Anzahl der Unterhosen auf der Inhaltsangabe im Koffer mit dem Bleistift um 1 vermindert – so habe ich mir den Ärger erspart, den eigentlich die Betreuerinnen und die Küche verdient hatten.

An einem Tag saß ich gegen Mittag auf der Toilette und konnte sie nicht verlassen, weil der Durchfall nicht aufhörte. Endlich war ich fertig, allerdings saßen außer mir schon alle am Esstisch und hatten ihre Suppe schon gegessen. Nur mein Teller war noch unberührt. Mittlerweile wurden Kartoffeln in die nunmehr leeren Teller verteilt – bei mir zu meinem Entsetzen in den vollen. Ich kann mich (zum Glück) nicht mehr erinnern, was daraus wurde.

Eine der Betreuerinnen hatte offenbar keine Lust, etwas mit uns Kindern zu unternehmen. Wir überquerten die kleine Straße vor dem Kinderheim, mussten uns alle auf die Wiese legen und durften nicht sprechen. Ab und zu wurde dann den gehorsamsten Schweigern erlaubt, aufzustehen und geräuscharm zu spielen. Ein Mädchen wendete sich an die Betreuerin mit dem Hinweis, sie müsse „mal pupsen“. Sie wurde einige Meter weitergeschickt und erleichterte sich dann – gut hörbar für alle. Das führte natürlich zu einer heiteren Unruhe bei uns anderen, auf die sofort wieder strenge Ruhe angeordnet wurde.

Nachts kratzte ich einmal im Halbschlaf mit einer Hand an meinem Kissen – mir wurde es selbst gerade bewusst, als schon der Blitz aus dem Dunkel in Form einer Ohrfeige einschlug. Die Nachtschwester sorgte halt für Ruhe.

Eines Tages fühlte ich mich krank – und war es auch. Mittags gab es Bohnensuppe. Ich saß vor meinem gefüllten Teller und brachte nichts hinunter. Die netten Damen ließen mich konsequent bis zum Abend alleine vor meiner kalten Suppe sitzen, bis endlich die Heimleiterin auftauchte und feststellte, dass ich Fieber hatte. Sie befreite mich und fuhr am nächsten Tag mit mir zum Arzt. Danach habe ich jahrelang keine Bohnensuppe mehr essen mögen.

Am Tag der Abreise hockte ich im Flur vor dem Ausgang vor meinem Koffer und versuchte, eines der beiden Schlösser zuzudrücken. Es sprang aber immer wieder auf. Während ich noch dahockte, bekam ich plötzlich von hinten ohne Vorwarnung eine Ohrfeige, die mich fast von den Beinen riss. Schwester E. hatte vermutet, es wäre nicht mein Koffer gewesen. Eine klärende Frage statt der Ohrfeige wäre aber auch zu umständlich gewesen.

Endlich, endlich ging es wieder nach Hause.

Anonymisierungs-ID: ael

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