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25826 St. Peter-Ording, 1990

Als gebrochenes Kind nach Hause

Von: B.T.


Name des Trägers: 
Kostenträger: 

Dauer der Verschickung: 6 Wochen
Bericht: Ich bin 1990 für insgesamt 6 Wochen in eine “Kur” nach Sankt Peter Ording verschickt worden. Meine Eltern haben mich dort auf Anraten meines damaligen Kinderarztes hingeschickt. 

Aufmerksam auf diese Seite und generell auf das Thema Verschickung bin ich durch ein Interview in der Zeit geworden vom 21.03.2023. 
Bis gestern habe ich die Erfahrung in der Kur damals immer als ein Einzelschicksal wahrgenommen. Ich habe auch bereits mit meinen Eltern über diese Zeit gesprochen. Allerdings ist mir durch den Artikel in der Zeit klar geworden, dass es sich hier mitnichten um ein Einzelschicksal handelt, sondern um ein systematisches Problem, welches die meisten Verschickungskinder teilen.
Ich habe leider so gut wie keine bewussten Erinnerungen an diese Zeit. Was ich leider als kein gutes Zeichen werte. Vor allem im Hinblick darauf, dass ich den Familienurlaub im Sommer 1990 noch bildhaft und äußerst toller Erinnerung habe. Es scheint also so zu sein, dass ich nicht nur keine Erinnerung daran habe, weil es schon über 30 Jahre her ist. Vielmehr scheine ich dort Erlebnisse gehabt zu haben, die dazu geführt haben, dass ich etwas verdrängt habe. Ich erinnere keine Personen, Namen, Orte nichts. Und immerhin reden wir über einen Zeitraum von 1 1/2 Monate. 

An was kann ich mich erinnern? An zwei Punkte konnte ich mich immer erinnern:

1. Postzensur! Eines Abends, nach dem Zähneputzen, wurde ich in das Zimmer der Oberaufseherin gerufen. Sie hatte einen Brief in der Hand den ich an meine Eltern geschrieben habe. In diesem Brief habe ich mich über die Zustände beschwert. Einzelheiten erinnere ich nicht. Allerdings erinnere ich mich daran, dass ich “bequatscht” wurde diesen Brief nicht wegzuschicken. Als hätte ich eine Wahl gehabt. Der Brief wurde auch nicht verschickt. Ob daraus Konsequenzen folgten, erinnere ich nicht. Woran ich mich erinnere, ist, dass ich das schon damals all Unrecht wahrgenommen habe. Sprich, dass man meine Briefe öffnet und nicht verschickt.

2. Ich erinnere mich daran, dass ich mit meinen Zimmergenossen konkrete Fluchtpläne geschmiedet habe. Wir wollten aus dem Fenster auf das Vordach und von da aus zum Bahnhof und mit dem Zug nach Hause.
Aus den Erzählungen meiner Mutter weiß ich, dass ich gebrochen nach Hause gekommen bin. Bis zu dem oben erwähnten gemeinsamen Familienurlaub, habe ich unter Kopfschmerzen gelitten und mich häufig nach dem Essen übergeben. Das hatte zur Folge, dass meine Mutter mit mir verschiedene Ärzte aufgesucht hat. Unter anderem auch einen Neurologen, der meine Hirnströme gemessen hat. Es wurden keine organischen Ursachen gefunden. Auch hat meine Mutter mich wohl immer wieder nach meinen Erfahrungen gefragt, bzw. mich konkret danach gefragt ob in Sankt Peter Ording etwas passiert sei. Ich habe wohl immer nur mit Nein geantwortet. 
Schlussendlich hat sich mein Befinden nach dem schönen Familienurlaub in Italien im Sommer 1990 wieder gebessert. Immerhin ist Deutschland damals Weltmeister geworden und selbst die Italiener waren ausnahmsweise für die deutsche Nationalmannschaft, hatte ihr Nationalmannschaft doch zuvor gegen Argentinien im Halbfinale verloren.

Anonymisierungs-ID: agt

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