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26548 Norderney, 1965

wurde ich ins Krankenzimmer eingeschlossen

Von: W.S.

Kostenträger: AWO?

Dauer der Verschickung: 6 Wochen

Bericht: Schade, dass ich erst jetzt davon lese. Ich bin gestern erst auf das Thema durch einen Film im Fernsehen aufmerksam geworden. Ich bin Jahrgang 1957 und wurde als etwa 8–10-Jähriger nach Norderney für 6 Wochen in Kur verschickt. Ich stamme aus Hattingen/Ruhr. Grund für die Kur war mein Untergewicht. Genaue Erinnerungen habe ich nicht insoweit, vermutlich weil ich schon sehr früh vieles verdrängt habe. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr kommt zurück.

Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass es eine Untersuchung vom Gesundheitsamt gab. Dann brachten mich meine Eltern zum Bahnhof, wo auch andere Kinder warteten. Eine Begleitperson brachte uns dann weg.

Ich landete dann im beschriebenen Heim Heckenrose und das Grauen fing an. Alles Sachen wurden uns abgenommen. Meine Mutter hatte mir ein Foto von den Eltern und dem kleinen Bruder mitgegeben, das Foto habe ich nie wieder gesehen. Ich hatte 5 DM Taschengeld, müßig zu erklären.

Die Frauen waren von Anfang an sehr streng. Mittags mussten wir schlafen mit dem Gesicht zur Wand, wenn nicht wurdest du angeschrien. Der absolute Alptraum war die Nachtwache. Ein Junge hatte vor Angst ins Bett gemacht und wurde dafür geschlagen und musste in den vollgemachten Sachen schlafen. Überhaupt bekam man Kleidung nur selten zugeteilt, wahrscheinlich damit man möglichst wenig waschen musste.

Morgens der Haferschleim und undefinierbare Tee war ekelhaft, aber wehe man hat nicht aufgegessen. Ich selbst mochte einen Mittag den bitteren Rosenkohl nicht essen. Ich wurde mit dem Gesicht ins Essen gestoßen und durfte nicht aufstehen, erst aufessen. Als ich mich dann erbrach, wurde ich ins Krankenzimmer eingeschlossen. Das war ein Raum, in dem an einer Wand die Koffer aufgestapelt standen, an der anderen Wand ein Feldbett. Das Fenster war vergittert, die Tür abgeschlossen, kein Stuhl oder Tisch. Nichts. Zwei Tage wurde ich hier eingesperrt, denn ich war ja krank. Als ich anfing zu weinen wurde ich angeschrien, ich würde noch länger dortbleiben müssen. Jetzt erinnere ich mich wieder, dass ich meinen Koffer dort gefunden und geöffnet habe. Das beschriebene Familienbild war am Deckel innen festgeklebt und ich habe es zu mir genommen. Natürlich wurde ich erwischt und die Nonne hat dann das Foto vor meinen Augen zerrissen.

Ich erinnere mich noch sehr genau an die Heimkehr. Mein Vater holte mich nachmittags vom Zug ab, Fußweg etwa ein Kilometer. Ihm fiel sofort auf, dass ich noch dünner war als vorher. Als ich ihn fragte, was sie denn zu Mittag gegessen hatte, gab er als Antwort Erbsensuppe. Als ich sagte ich habe Hunger, ob noch was da sei, war er sehr erstaunt, da ich Erbsensuppe nie gemocht hatte. Ich musste ihm alles erzählen und er hat den ganzen Weg nach Hause geweint.

Ich kann bis heute Rosenkohl nicht einmal ansehen, Erbsensuppe esse ich dafür umso lieber.

Kinderheim Heckenrose, war kein gesundheitsfördernder Aufenthalt, es war das Schrecklichste, was ich als Kind erlebt habe. Einfach nur Grausamkeit.

Anonymisierungs-ID: ajb

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