26548 Wildeshausen/Norderney, 1959, 1961, 1963

„Klappte das immer noch nicht, wurde man auf die Anrichte gelegt und geschlagen“

Von: G.Sch.
Name des Trägers: Diakonie?
Kostenträger: Knappschaft

Verschickungsort: 2x Wildeshausen und Haus Heckenrose Norderney
Dauer der Verschickung: Jeweils 6 Wochen.
Bericht: Gebürtig komme ich aus Lünen Alstedde. Nach einer Masern Erkrankung, hatte ich an
Gewicht verloren. Mir fehlte der Appetit. Über die Knappschaft wurde ich zur Kur geschickt. Der
Grund, ich sollte wieder an Gewicht zunehmen. Ich kam nach Wildeshausen, es war ein kleines
Kurheim, geleitet von zwei älteren Damen, ich glaube es waren Diakonissen, kann ich aber auch
nicht genau sagen. War zu dieser Zeit 5 Jahre alt, so war es dann 1959. Wir kamen an, wurden
sofort ins Badezimmer gebracht und der Reihe nach gebadet. Jedes Kur Kind bekam sofort einen
Schlafanzug an. Nachdem alle 15 Kinder fertig waren, schloss sich ein gemeinsamer
Toilettengang an. Danach ging es in die Schlafräume. Jedes Kind bekam ihr Bett zugewiesen. Dort
bekamen wir vermittelt, alle Kinder waren auf Toilette, ab jetzt habe kein Kind mehr
aufzustehen und das mit viel Nachdruck. Ich hatte Angst, hab mich auch in der Nacht nicht
getraut, stattdessen habe ich ins Bett gemacht. Die Konsequenz, ich bekam abends nichts mehr
zu trinken. So musste ich beim Abendbrot mein Brot so trocken runter knufen. Die nächtliche
Angst wurde noch mehr verstärkt, in dem die Leiterin mit einem Rohrstock auf jedes Bett
knallte, mit der Mahnung, dass keiner aufzustehen hat. Meine Angst war so groß, ob mit oder
ohne trinken, das Bett war am anderen Morgen nass. Das Trinkverbot wurde dann irgendwann
aufgehoben. Jedoch das schlimmste Problem war für mich das Essen. Morgens gab es heiße
Milch mit Haferflocken. Mittags war die Pflicht immer einen Nachschlag zu essen, schließlich
sollten wir ja zunehmen. Vor dem Mittagessen gemeinsamer Toilettengang jeder musste gehen.
Danach bekam jedes Kind sein Lätzchen, gegessen wurde meistens draußen. Das Essen stand
schon an jedem Platz bereit. Da es Vieles gab, was ich nicht mochte, bekam ich Probleme. Es
musste gegessen werden. Selbst wenn es erbrochen wurde, so dass ein kleiner Teil von uns
irgendwann allein am Tisch saß. Klappte das immer noch nicht, wurde man auf die Anrichte
gelegt und geschlagen. Das erledigte diejenige, die für die Küche zuständig war, da die andere
schon alle anderen Kinder zur Mittagsruhe ins Bett brachte. Für mich gibt es heute noch
vereinzelt Speisen, die ich nicht essen kann, wobei der Ekel davor ein großer Faktor ist. Mir war
das Glück hold, dass ich während dieser sechs Wochen krank wurde und mir eine kleine Auszeit
bescherte. Weil man krank war, wurde ich nicht zum Essen gezwungen. Beim Abendbrot gab es
belegte Brote, allerdings ohne das man wählen konnte, wieder mit Essenszwang, wieder auf die
Gefahr erbrechen zu müssen, hinzukommt, dass ich keine Butter mochte. Essen in dieser sechs
wöchentlichen Zeit wurde zum Alptraum. Die Kinder, die nicht zunahmen, bekamen eine Extra
Ruhezeit am Nachmittag in der Liegehalle, die anderen Kinder durften spielen. Zur Kaffee-Zeit
gab es Kuchen oder Kekse, somit für mich ein entspanntes Essen. Vor und nachher natürlich der
sogenannte Toilettengang. Kaum war ich zu Hause wurde ich wieder krank, mein
Essensverhalten war mäkelig und änderte sich nicht. Zu allem Übel sollte ich nach zwei Jahren
wieder zur Kur. Meine Angst war schon vorprogrammiert, ich kam wieder in die gleiche
Kureinrichtung mit den zwei älteren Damen. Zur Anreise der gleiche Ablauf. Unterschied
bestand darin, ich war jetzt 7 Jahre alt und mein Bett stand direkt unter dem Fenster, dieses
wurde während dieser Kur wichtig für mich. Die Abendmahlzeit wurde im Gruppenraum
eingenommen, hier konnte ich die Chance nutzen den Belag in meine Trainingshose
verschwinden zu lassen und dann später über meinem Bett durch das Fenster verschwinden zu
lassen. Ansonsten hatte sich nichts geändert. Schläge wurden immer noch verteilt. In der
Mittagsruhe hing über meinem Bett eine Spinne. Ich bin aufgestanden und hab sie mit meinem
Hausschuh platt gemacht. Es dauerte nicht lange, da kam die dicke Tante aus der Küche, drehte
mich im Bett um, zog mir die Hose runter und verprügelte mich. Ich habe geschriehen, verstand
nicht das Warum. Nach der Mittagsruhe wurden alle anderen Kinder aufgefordert über mich zu
lachen und zur Strafe bekam ich auch keine Plätzchen.
Und wieder wurde mir das Glück hold, ich wurde wieder krank, mit hohem Fieber, das
Zahnfleisch war auch geschwollen, so dass das Essen von fester Nahrung schmerzhaft war. Ich
lag einige Tage im Bett. Selbst nach der Krankheit fehlte mir der Appetit, war auch nicht fit, war
tagsüber viel in der Liegehalle und irgendwann war der Kuraufenthalt vorbei. Doch selbst zu
Hause hat es viel Zeit und Geduld gebraucht, bis ich wieder mit Appetit essen konnte.

Zwei Jahre später also mit 9 Jahren, also 1963 fand für mich die letzte Verschickung statt. Doch
dieses Mal ging es nach Norderney ins Kurheim Haus Heckenrose. Dieser Aufenthalt war
entspannt, außer auch hier wieder durfte man während der Bettzeit nicht zur Toilette. Doch ich
fand für mich besonders nachts eine Lösung. Jede von uns hatte sein Handtuch über dem Bett.
Das habe ich mir genommen, um die Blase zu entleeren. So blieb mein Bett trocken.
Kein Stress mit dem Essen, konnte an Gewicht zunehmen, allerdings. Irgendwie komisch verteilt,
meine Oberschenkel, sowie Oberarme wurden richtig dick. Bin in der Schule sogar darauf
angesprochen worden, schon recht komisch.
Doch noch heute ekel ich mich immer noch vor gewissen Speisen, die Bilder melden sich dann
immer zu Wort. Nach der ersten Kur in Wildeshausen war ich noch lange ein Bettnässer.
Anonymisierungs-ID: ale

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