Von: I.M.
Dauer der Verschickung: 6 Wochen
Bericht: Ich kann mich entsinnen, als kleines Kind von meinen Eltern zu einem Bahnsteig gebracht worden zu sein. Ein Zug hielt, ich sollte einsteigen, meine Eltern blieben draußen, ich wusste nicht, warum.
Als der Zug abfuhr, wurde ich von einer Frau in ein Abteil gebracht, wo bereits mehrere Kinder saßen. Irgendwann ging es mit einer Fähre weiter nach Borkum.
Ich erinnere mich, dass dort in einem Schlafsaal geschlafen wurde. Nachts kam einmal eine Nonne an die Betten und verteilte Tabletten (warum eigentlich, ich fühlte mich nicht krank?), die ich aber nicht schlucken konnte.
Ich weiß, dass es uns verboten wurde, nachts zur Toilette zu gehen. Überhaupt gab es Ärger, wenn man noch ein Lebenszeichen von sich gab.
Ich hatte großes Heimweh, auf das aber nicht eingegangen wurde. Im Gegenteil: Bei einem Strandspaziergang ließ ein anderer Junge ein schweres Brett auf meine Füße fallen, was die schwarz gekleidete Nonne sichtbar amüsierte. Im Speisesaal hatten sich alle Jungs eines Morgens verabredet, auf Kommando unter den Tisch zu kriechen, wenn ich den Saal betreten würde. Die „Tanten“ amüsierte auch dies. Von meinen Eltern kam in den ganzen 6 Wochen nur eine einzige Postkarte an, was mich tief enttäuschte. Die Karte, die ich meinen Eltern schreiben sollte, wurde von einer der Tanten formuliert und geschrieben und entsprach nicht im Geringsten meinem seelischen Zustand.
Nach 6 Wochen Heimweh, Ausgrenzung, Angst, Langeweile und völliger Leere ging es zurück nach Hause. Meinen Eltern war es bis zu ihrem Tod nicht zu vermitteln, was dort geschehen ist. Die Nachbarstochter wäre ja auch in einem solchen Heim gewesen und die habe ganz begeistert berichtet. Tja.
Heute frage ich mich, wie man Kinder 6 lange Wochen einfach so von ihren Eltern isolieren kann. In prägendes Erlebnis. Anonymisierungs-ID: alw