Von: R.K.
auch ich gehörte zu den sog. Verschickungskindern und habe zwei „Kuraufenthalte“ in Bad Sachsa verbracht. Leider besitze ich keine genauen Angaben zu den Aufenthaltsdaten, jedoch muss der erste Aufenthalt vermutlich 1946 stattgefunden haben, der zweite dann 1948, weil mein Vater im Frühjahr dieses Jahres aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurück kam und ich in einem Brief meiner Mutter daran erinnert wurde, dass ich doch wenigstens in der Anrede auch meinen Vater nennen solle, den es wohl sehr traurig machte, dass ich immer nur an meine Mutter schrieb. Nun muss man wissen,
dass ich 1943 geboren wurde und meinen Vater bei seiner Rückkehr 1948 zum ersten Mal sah, eine Vater – Sohn – Beziehung also im normalen Sinne noch nicht bestand. Mein Vater war auch durch seine 11-jährige Wehrmachtszuge-hörigkeit stark geprägt, seine Erziehungsmethoden entsprechend beeinflusst. Eine wirklich liebevolle Vater-Sohn-Beziehung hat sich eigentlich nie mehr entwickeln können, was ich natürlich – auch in Bezug auf ihn – sehr bedaure.
Die Kuraufenthalte waren ausschließlich darauf gerichtet, eine Gewichtszunahme bei den Kindern zu erreichen. Ich habe auch Kinder lange nach dem Essen vor ihren Tellern sitzen sehen, auch vor ihrem Erbrochenen. Ob sie es wirklich aufgegessen haben, weiß ich nicht. Bei aller Strenge bei der Erziehung der Kinder gab es auch Personen, die manchmal Milde walten ließen. Was die Speisen anging, so erinnere ich mich an Haferflockensuppe oder Milchreis mit Zimt und Zucker, an Brot mit unterschiedlichem Wurst- oder Käsebelag. Wer seine Ration gegessen hatte, aber noch einen Nachschlag wollte, bekam Brote mit Schweineschmalz.
Die Nächte verbrachten wir mit 7 oder 8 Jungen in einem Raum.
Ich selbst war wahrscheinlich ein sehr angepasstes Kind, „das weniger häufig bestraft werden musste“. Ich erinnere mich allerdings an ein ca. 2-stündiges Weggesperrtsein in einem halbdunklen Speicherraum, aus dem ich dann irgendwann befreit wurde, ohne auf mein Fehlverhalten noch einmal ausdrücklich aufmerksam gemacht zu werden.
Wir unternahmen häufig Spaziergänge/kleine Wanderungen in die nähere Umgebung, hatten dann auch mal einen freien Blick auf den Brocken, so dass ich auch den Namen des höchsten Berges im Harz schön früh in meinem Gedächtnis hatte.
Ich erinnere mich auch eine erhebliche Maikäferplage und die abgefressenen Bäume und toten, stinkenden Maikäfer auf den Waldwegen. Vielleicht lässt sich daran ja auch zumindest einer meiner Aufenthalte zeitlich genau festmachen.
Ich habe mich, z.B. aufgrund negativer Erfahrungen bei der ersten Verschickung, nicht gesträubt, einer zweiten zuzu-stimmen, denn ich wurde natürlich in irgendeiner Form in die Entscheidung einbezogen, wahrscheinlich sogar überzeugt, dass dies zu meinem Wohle sei. Man muss bedenken, dass – wie bereits erwähnt – meine Eltern sich nach 11 Jahren Abwesenheit meines Vaters wieder aneinander zu gewöhnen versuchten, ich noch eine jüngere 1945 geborene Schwester hatte, mein Bruder unterwegs war(Geburt März 49), ich selbst nach wie vor ein zartes, untergewichtiges Kind war, das 1949 eingeschult werden sollte, usw., usw.. Als ich von meinem zweiten Kuraufenthalt zurückkam, hatte ich sogar die Sprache meiner Erzieherinnen so sehr angenommen, dass mein Onkel H. zu mir sagte: „Jong, spriak Platt, hej versteht desch ke Mensch!“ – Gewohnt habe ich, wahrscheinlich beide Male, im Haus „Warteberg“, Bad Sachsa – Südharz, von dem ich noch eine Ansichtskarte besitze. Ich plane, wenn die Gesundheit es zulässt, Bad Sachsa noch einmal aufzusuchen und zu schauen, ob es Erinnerungsfetzen gibt.
Anonymisierungs-ID: abf