Von: K.D.
Dauer der Verschickung: 6 Wochen
Bericht: Ich habe immer gewusst, dass ich verschickt wurde. Es gab Bilder und Gerüche in mir, die
haben mich nie verlassen. Erst vor drei Jahren, ich sah einen Film über Verschickungskinder, wurde
mir schlagartig klar, ich habe das wirklich alles erlebt.
Ich war 6 Jahre als die Hölle begann. Zuhause war ich ein wildes, fröhliches Kind, also ein Typ, der dort
nicht gewollt war.
Meist stand ich teilnahmslos da und guckte den Andern zu. Ich kann mich an keine Fröhlichkeit
erinnern.
Aber ich erinnere mich an das Essen, es wurde immer wieder aufgefüllt und wir mussten den Teller
leer essen. Ich erbrach mich, eine Tante griff in meinen Nacken und führte meine Hand mit dem Löffel.
Ich musste das Erbrochenen aufessen.
Trinken wurde streng reglementiert, ich glaube, nur zu den drei Mahlzeiten gab es ein Glas. Auch der
Toilettengang war vorgeschrieben. Auch das fand nur 3 x am Tag statt. Wir spielten Eisenbahn. Alle
legten die Hände auf die Schultern des Vorderkindes. Es dauerte ewig, bis die Hinteren dran waren
und wir machten uns in die Hosen.
Ob ich deswegen, zusammen mit anderen, barfuß im Nachtzeug, stundenlang aufrecht an der
Flurwand stehen musste, weiß ich nicht. Vielleicht war es auch, weil wir ins Bett gemacht hatten.
Das Duschen fand in einem großen, kalten und kahlen Raum statt. Ich weiß, dass ich aufgeschrien
habe, weil man mir zeigen wollte, wie man sich richtig wäscht. Überall. Es hat sehr weh getan.
Es war Winter, es lag hoher Schnee und ich erinnere, dass ich immer gefroren habe.
Die letzte Zeit wurde ich krank und von allen isoliert. Es war ein sehr kleines Zimmer, eine Kammer
unter dem Dach. Da lag ich ohne Kontakt, ohne Spielsachen und ohne Trinken. Vielleicht hatte ich
Fieber, der Durst war unerträglich, so dass ich mit der Zahnpasta Bilder an die Wand schmierte und sie
gleich wieder ableckte. Denn ich hatte Angst vor Strafen. Mir wurde das Essen und ein Glas
hereingereicht und der Pinkelpott geleert.
Nach der Verschickung habe ich nie wieder Vertrauen zu meinen Eltern finden können. Zumal sie mir
nicht glaubten. So habe ich als Sechsjährige meine Eltern nie mehr mit Mama und Papa angesprochen.
Ich wurde rebellisch und ging meinen eigenen Weg. Bis heute und ich bin 73 Jahre.
Vor zwei Jahren habe ich das Heim gefunden. Ich bin mit einem Filmteam nach Bad Sachsa gereist, die
haben mir bei der Suche geholfen.
Ich war im Haus Warteberg und stand dort als erwachsene Frau wieder im Garten.
Bis heute kann ich nicht normal zum Zahnarzt oder HNO-Arzt gehen. Ich bekomme Panik, wenn ich
das Gefühl bekomme, ich bin ausgeliefert und kann nicht frei atmen und schlucken.
Das Heim zu finden hat mir aber geholfen. Ich bin etwas ruhiger geworden.
Anonymisierungs-ID: anw