39050 Steinegg (Südtirol) 1967

„Dass ich eher ein misstrauischer Mensch geworden bin…“

Von: A.G.
Bericht: Zehn Jahre alt, wurde ich auf „Große Reise“ geschickt. Mit dem Zug in unendlich langer Fahrt
nach Südtirol. In freudiger Erwartung auf spannende Wochen. Aber auch von einem sehr mulmigen
Gefühl begleitet: Gerade waren erst vier italienische Soldaten durch einen Sprengstoffanschlag getötet
worden. Südtirol im Brennpunkt. Warum hatten meine Eltern ausgerechnet ein Dorf bei Bozen
ausgesucht??
In Erinnerung geblieben sind zum Glück nur einzelne Szenen.
Aufstellung nach Größe, um uns Kinder auf den Zimmern zu verteilen, Ich war größer als die 13, 14-
jährigen. „Was, du bist erst zehn Jahre alt? Dann musst du zu den Zehnjährigen, zu den kleinsten und
jüngsten ins Zimmer.“ Alle lachten und ich war hochrot geworden.
Tage später, nachts im Bett liegend, traf mich etwas ins Auge. Jemand hatte im Dunkeln einen Schuh
quer durchs Zimmer geworfen. Ich sah nur Sterne und weinte leise.
Die Aufsichtsleute fragten nach meinem Schwimmzeugnis, welches ich nicht mithatte, ich sagte, ich
könne vorschwimmen, nein, das reiche nicht, ich dürfe nur ins Kleinkinderbecken.
Wanderungen musste ich gefühlt in Badeschuhen absolvieren, richtiges Schuhwerk hatte ich nicht.
Merkwürdige Steinhügel faszinierten mich, die Berge, das Licht im Süden…
Als ich gehänselt wurde und mir einen Stock suchte, um mich zu verteidigen, wurde ich vor allen
anderen gemaßregelt.
Das Gefühl der Verachtung für meine Mitreisenden hatte sich tief eingegraben, ein Sinnbild dafür war
der Junge, der auf der Rückfahrt im Zug keine Lust hatte, zur Toilette zu gehen. Er pinkelte in seine
Trinkflasche.
Zu Hause angekommen suchte ich vergeblich die neuen Folgen der Raumpatrouille Orion, meine
„Kumpanen“ hatten felsenfest behauptet, es gäbe eine Fortsetzung.
Es gibt ein paar Fotos, die ich gemacht hatte, sie rufen nur Abwehr hervor.
Der vierwöchige Albtraum führte dazu, dass ich 50 Jahre einen Bogen um Südtirol machte.
Dass ich eher ein misstrauischer Mensch geworden bin. Und ziemlich dünnhäutig.
Anonymisierungs-ID: amv

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