49324 Melle, 1968

Zitat: „Geschlagen, getreten, bis ich nicht mehr laufen konnte“


Von: G.C.
Solbad Melle, Kinderkurheim unter Dr. K. Heck 1921 – 1965. Danach soll ein Ehepaar das Heim
geleitet haben.
Wir waren 1968, im Mai, 6 Wochen mit der Kinderverschickung in Kur, weil wir schlechte Esser
waren. Unser Hausarzt, Dr. K. hatte das vorgeschlagen. Nach unserem Aufenthalt wurde das
Heim wegen Kindesmisshandlung geschlossen. Es gibt keine Infos im Internet, nur unter
verschickungsheime.de gibt es einen Bericht von S., sie war 1966 in Melle, sie beschreibt nur ein
wenig von dem, was dort abging.
Für mich war es der Supergau. Jahrelang dachte ich, nur mir wäre das passiert. Nachdem ich den
Bericht im TV gesehen habe, war ich doch sehr erstaunt, dass alle wussten, was los war. Schön
zu wissen, dass 2020 endlich einmal darüber geredet wird.
• Erbrochenes essen
• Im Klo abgezogen werden (ich war klein und dünn)
• Im Stehen schlafen
• Wenn ich im Schlafsaal schlafen durfte, lag ich unterm Bett, weil ich Angst hatte
• Stundenlang setzen sie mich auf große Schränke mit Wasser und Brot
• Geschlagen, getreten, bis ich nicht mehr laufen konnte (drei erwachsene gegen mich mit viel
Blut)
• Habe versucht wegzulaufen, kam aber nicht raus, weil alle Türen verschlossen waren
• Meinen Bruder habe ich nicht gesehen, die ganze Zeit über nicht. Daher habe ich ihn nachts
gesucht und gefunden (Jungen und Mädchen waren getrennt) hinter einer verschlossenen
Türe auf dem Speicher, er weinte, ich schaffte es nicht, die Türe zu öffnen.
Wir fuhren nicht zusammen nach Hause wegen Windpocken, er wurde damals 3 Tage nach mir
mit dem Taxi nach Hause gebracht. Bin damals dort 5 Jahre alt geworden. Mein Bruder hat keine
Erinnerungen an diese Zeit. Habe Gott sei Dank keinen Schaden von dieser Zeit genommen, nur
eine tiefe Traurigkeit in mir. Aber das kann auch woanders herkommen. Meine Mutter erzählte
mir, dass sie in der Zeit, wo wir dort waren, versucht hatte, uns zurück zu holen, aber sie wurde
abgewiesen. Sie hatte Albträume wegen unserer Abwesenheit. Sie sagte mir später, dass das
Kinderkurheim sie vertröstet hätte und immer am Telefon beteuerte, dass alles in Ordnung sei.
Damals musste man noch zur Post, um zu telefonieren. Ich hatte damals auch Windpocken. Als
wir beide zurück waren, fuhren unsere Eltern sofort mit uns zur Nordsee, weil unsere
Windpocken (Narben) so stark entzündet waren. Habe am Auge noch heute eine sichtbare
Narbeu und auf dem Brustkorb. Ob mein Bruder Narben hat, weiß ich nicht. Ob meine Eltern
damals etwas unternommen haben, keine Ahnung. Sie sind tot. Glaube, dass für sie die
Gewissheit bestanden hatte, dass der Kurort geschlossen wurde (nach uns). Es wurde damals
wegen sowas kein Aufhebens gemacht. Glaube, die Zeiten nach dem Krieg waren einfach so.
Unsere Eltern haben uns nicht mehr in Kur geschickt. Wir haben uns als Menschen gut
entwickelt. Was mich verblüfft ist, dass es mit den Nazis zu tun hatte und alles nur geschah, weil
es um sehr viel Geld ging und nicht um die Gesundheit der Kinder Deutschlands. Irgendwohin
mussten die Naziärzte ja nach dem Krieg. Dass es festgeschriebene Erziehungsmethoden waren,
wusste ich auch bis gestern nicht.
Ein Glück, dass es nur 6 Wochen waren.
Anonymisierungs-ID: adh

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