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53947 Nettersheim, 1957

Zitat: „Als ich nach 4 Wochen wieder nach Hause kam, so sagten mir meine Eltern später, war ich verwandelt.“

Zitat:
„Als ich nach 4 Wochen wieder nach Hause kam, so sagten mir meine Eltern später, war ich
verwandelt.“
Von: R.L.
auch ich war Verschickungskind, und zwar im Sommer 1957 für 4 Wochen, als meine Eltern
mich ins Herz-Jesu-Kloster in Nettersheim in der Eifel gaben. Eigentlich brauchte ich keine
Erholung, ich war knapp 5 Jahre alt und ein normales, vielleicht etwas stilles Kind ohne
besondere Probleme. Meine Eltern wollten in eine Kur und meine große Schwester ihre
Brieffreundin in England besuchen, und man wusste wohl nicht, wo ich in der Zeit unterkommen
sollte, somit ergab sich durch einen Tipp eines Kollegen meines Vaters der Aufenthalt bei den
Nonnen im Kloster (wir waren evangelisch, aber ich dachte, Nonnen müssten gütige, liebe
Frauen sein). Ich kann mich kaum an Details erinnern, aber dass ich mich, als bei weitem
jüngsten Verschickungskind damals im Kloster sehr allein gelassen fühlte. Ich hatte keine
Spielkameraden, und nur 1 Nonne war nett, alle anderen waren sehr grob und unfreundlich.
Wenn ich die klumpige Haferflockensuppe oder fettiges Fleisch nicht essen mochte, wurde ich
geohrfeigt und in Isolationshaft genommen, wo ich furchtbare Angst hatte. Ich weiß keine
weiteren Details mehr, aber dass ich mich ständig bedroht, schutzlos und terrorisiert fühlte. Als
ich nach 4 Wochen wieder nach Hause kam, so sagten mir meine Eltern später, war ich
verwandelt. Ich sprach eine Zeitlang nicht mehr und zog mich zurück. Ich weiß nicht nach
welcher Zeit meine Lebensgeister wiederkamen. 1959, nach meiner Einschulung, hatte ich
glaube ich keine Angstprobleme mehr. Aber ich denke, mein Drang nach Kontrolle über mein
Leben und Unabhängigkeit, der mich das ganze Leben geprägt hat, stammt aus jener Zeit, wo ich
mich so drangsaliert und ausgeliefert fühlte. Ich denke, es gibt noch weit schlimmere Schicksale,
v.a. von Kindern, die jahrelang in Heimen leben mussten. Aber diese 4 Wochen waren schon
schlimm genug. Im Wesenentlichen habe ich später in akademischen Berufen gearbeitet und die
letzten 15 Jahre vor meiner Verrentung als Lehrerin an einem Berufskolleg, wo ich mit den
Jugendlichen bestens zurechtgekommen bin.
Ich finde Ihre Initiative richtig und wichtig. Ich verlange persönlich keine Wiedergutmachung,
wo sollte die auch herkommen, von der Katholischen Kirche etwa? Aber ich finde es sehr gut,
dass dieses Kapitel in der deutschen Geschichte aufgearbeitet wird und viel mehr Gehör findet.
Vielen Dank.
Anonymisierungs-ID: adk

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