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57334 Bad Laasphe, 1969

Vergitterte Fenster verhindern Flucht

Von: R.K.

Dauer der Verschickung: 6 Wochen (glaube ich)
Bericht: Das Haus in Bad Laasphe lag etwas oberhalb der Stadt. Es diente wohl auch als Kneipp-Haus, da es im Keller eine entsprechende Anlage beherbergte, in die wir etwa zweimal geführt wurde. Das Wasser in den Becken war kalt und wir mussten Wassertreten. Unangenehm, aber nicht fürchterlich.

Ich weiß nicht mehr, ob ich auf die “Kur” vorbereitet wurde, empfand die Zugfahrt dahin als angenehm, meine Betreuungsperson war eine sehr nette Frau. Sie war lieb und aufmerksam. Ich war, was man untergewichtig nannte. Das diente der Erklärung, wieso ich da hinmusste.
Die Ereignisse im Haus erinnere ich als sehr bedrückend. Alles war durchgetaktet. Eine lange Mittagsruhe von zwei oder drei Stunden, in denen nicht gelesen, nicht gesprochen werden durfte. Ich erinnere mich, dass ich meinen 10. Geburtstag hatte und ein Matchbox-Auto bekam, das meine Mutter mitgegeben hatte.

Es gab jeden Mittag die gleiche Gemüsesuppe mit Rindfleischeinlage, viel Fett darin. Danach erinnere ich mich an Joghurt, was ich nicht von zuhause kannte, aber ganz lecker fand. Nur sonntags gab es ein anderes Essen. Morgens gab es u. a. Cornflakes, mir ebenfalls unbekannt, aber köstlich, mit Milch und Zucker. Ab wechselnd gab es Bircher Müsli, auch lecker.
Vormittags wurde in Zweierreihen gewandert, nachmittags gab es nach der Ruhe eine dreistündige Spielstunde mit der einzigen wirklich netten “Tante”. Dort wurden auch Briefe empfangen und geschrieben. Letztere wurden kontrolliert, also zensiert.

Schlimm waren die Nächte. Auf unserem sechser Zimmer lag auch ein Junge, H., der nachts oft stöhnte. Dann geschah das Grausamste, was ich als Kind je erlebt habe. Und ich hatte einen gewalttätigen Vater, war also durchaus nicht durch Gewalt an und für sich geschockt. Doch H. lag da und stöhnte, was die “Tante”, die Nachtwache hatte, wohl über Gebühr aufbrachte. Sie stürmte ins Zimmer, schaltete das Licht an, riss H. die Decke weg, riss ihn herum und schlug ihm mit dem Schuh auf den Po. Dann wurde noch einmal mit erhobenem Zeigefinger in die Runde gedroht und wortlos das Zimmer verlassen. Die Tür stand immer auf. Es wurden viele Kinder geschlagen. Ich war anpassungsfähig, besaß durch meinen Vater eine gewisse Kenntnis, wie man “Ärger” vermeidet und wurde nie geschlagen. Die Gewalt hat mich trotzdem extrem geschockt und bis heute wünschte ich, diese “Tanten” zu Gesicht mal zu bekommen und ihnen etwas zurückzugeben.

Ich macht Fluchtpläne, die aber an vergitterten Fenstern und ansonsten rundum herrschender Überwachung scheiterte. Meine Eltern und Geschwister haben mir nie ganz geglaubt, wie diese “Kur” verlief, hielten vieles für übertrieben, aber diese Details hier sind absolut wahr.

Anonymisierungs-ID: aht

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