Von: S.G.
Dauer der Verschickung: 6 Wochen
Bericht: Ich wurde zum Bahnhof gebracht, mit einem Schild mit Namen und Zielort darauf und dann ging es nach Winterberg. Der Abschied war schon schrecklich, aber die Zeit danach noch schrecklicher!
Die Nonne unserer Gruppe war sehr streng und angsteinflößend. Wir mussten immer leise sein und durften kaum reden. Beim Essen bestimmte die Nonne, was und wieviel wir essen mussten, egal, ob wir es mochten oder nicht. Und wir durften erst aufstehen, wenn alles aufgegessen war. Manchmal saßen Kinder den ganzen Nachmittag vor ihrem Teller. Wenn jemand erbrochen hatte, musste das Kind alles selber saubermachen und wurde dann vor einen neu aufgefüllten Teller gesetzt.
Wir wurden ja regelmäßig gewogen und wenn wir nicht genug zugenommen hatten, gab es mehr zu essen. Ich erinnere mich auch daran, dass wir schrecklich oft Leber in einer komischen Soße (so wie ein Gulasch zubereitet) zum Mittagessen bekamen, so dass einige schon beim Geruch, wenn uns das Essen aufgefüllt wurde, einen Würgereiz bekamen. Aber es musste ja immer alles aufgegessen werden!
Wir mussten Briefe nach Hause schreiben, in denen wir nur Gutes schreiben durften. Da ich nicht wusste, was ich schreiben soll, habe ich es irgendwie geschafft, mich davor zu drücken. Als dann ein Brief mit der Frage, warum ich mich nicht melden würde und ob es mir gut ginge, von zu Hause kam, der natürlich geöffnet und gelesen wurde, fiel es auf und ich bekam Riesenärger mit der Nonne. Ich musste zwei Tage im Haus bleiben und direkt am ersten Nachmittag nach Hause schreiben, wie gut es mir gefällt und wie gut es mir geht. Der Brief, wie alle anderen auch, wurde natürlich von der Nonne gelesen. Meine Eltern hatten in den Brief 5 DM für mich als Taschengeld gelegt, was ich aber nicht bekommen habe. Ich hatte schreckliches Heimweh und habe mich abends oft in den Schlaf geweint, natürlich ganz leise, damit es die Nachtwache nicht mitbekommt. Und das leise Weinen der anderen werde ich auch nie vergessen!
Sobald das Licht abends ausgemacht worden war, durften wir nicht mehr reden und auch bis zum anderen Morgen nicht mehr aufstehen, auch nicht zur Toilette. Einmal hat sich ein anderes Mädchen, das so wie ich, schon ganz früh wach war, zu mir ins Bett gelegt und wir haben miteinander gesprochen. Als die Nachtwache zum Kontrollgang in unser Zimmer kam und uns dabei erwischte, gab es einen Riesenärger! Wir wurden ausgeschimpft, hatten total Angst und das Gefühl, eine Todsünde begangen zu haben. Noch vor dem Frühstück mussten wir zu „unserer“ Nonne zu ihrem Schreibtisch kommen und wurden erneut beschimpft und bekamen natürlich Hausarrest. Ich weiß nicht mehr wie lange, aber wir hatten schreckliche Angst. Beim Hausarrest musste jede an einem eigenen Tisch sitzen und den ganzen Nachmittag dort sitzen bleiben, ohne irgendetwas machen zu dürfen.
Wenn wir nachmittags drinnen malen durften oder uns anderweitig beschäftigen, durfte aber nicht gesprochen werden. Wir mussten immer ganz still sein.
Für eine kurze Zeit war eine ganz junge Nonne in unserer Gruppe. Sie hat mit uns Spaziergänge unternommen und ging mit uns auf den Spielplatz. Doch auch sie konnte der älteren Nonne nicht viel recht machen und als wir einmal von einem Spaziergang mit schmutzigen Mündern und Flecken auf der Kleidung (wir hatten unterwegs Heidelbeeren gepflückt und gegessen) wieder im Heim ankamen, wurden wir und auch die junge Nonne beschimpft. Wir bekamen alle Hausarreste und die junge Nonne haben wir danach nicht mehr gesehen.
Ich war so glücklich, als ich endlich wieder nach Hause durfte. Meine Eltern konnten gar nicht glauben, dass wir dort so behandelt wurden und fragten mich, warum ich ihnen das denn nicht geschrieben habe….
Ich habe mir damals geschworen (obwohl ich ja erst 9 Jahre war), dass ich, wenn ich mal Kinder habe, sie NIEMALS alleine in eine Kur fahren lass Anonymisierungs-ID: amd