77960 Seelbach-Schwarzwald, 1966

„Bloß nicht wieder in eine stationäre Einrichtung“

Von: G.B.

Dauer der Verschickung: 6 Wochen

Bericht: Der Arzt äußerte bei der Einschulungsuntersuchung in meinem Heimatort Moers – Repelen (damals Rheinkamp – Repelen) es wäre gut für mich, auf eines der beiden Kurzschuljahre in 1966 zu verzichten und vor der Einschulung im Dezember in eine „Kur“ zu fahren. Meine Mutter dachte gar nicht weiter nach und stimmte zu. Die Menschen waren damals generell autoritätshöriger. Es ging dann irgendwann mit dem Zug Richtung Schwarzwald. Eigentlich wollte ich gar nicht sechs Wochen weg von zu Hause sein. Es wurde nur angeordnet und nicht nach dem Kinderwillen gefragt. Dass mein Koffer nicht im Heim angekommen war, war ein Schock. Aber niemand ging darauf ein. Ich schlief dann erstmal in der Unterwäsche und als ich nachts zum WC musste und gezwungenermaßen so über den Flur lief, reagierte die Betreuerin ungehalten. Sie hätte mir ja etwas umhängen können. Der Koffer kam nach wenigen Tagen an.

Es roch im Haus immer unangenehm nach gebratenem Essen und Bohnerwachs. Zu jeder Mahlzeit gab es Pfannkuchen und Milchsuppen mit Mehlklößchen zum normalen Essen dazu. Ob wir zum Essen gezwungen wurden, weiß ich nicht mehr. Nur wurde des Öfteren auf einer medizinischen Waage bei allen das Gewicht kontrolliert. Es waren nun mal eindeutig zu viele Kohlenhydrate. Am Ende der Maßnahme musste der Faltenrock meines schicken roten Kostüms mit einer Sicherheitsnadel zusammengehalten werden. Viele Kleidungsstücke waren mir zu eng geworden. Allein das machte mich traurig. Mein Vater verdiente als ungelernter Industriearbeiter nicht viel und so war nicht das Geld da, mich nach dieser „Mastkur“ komplett neu einzukleiden. Meine Mutter hatte am Tag vor der Abreise noch einen schicken blauen Pullunder fertiggestrickt. Leider war er im Heim zu heiß gewaschen worden und hin, was mich zum Weinen brachte, weil meine Mutter so viel Arbeit reingesteckt hatte und dieses Teil ein Stück mütterliche Vertrautheit in der Fremde war. Niemand entschuldigte sich. An körperliche Gewalt erinnere ich mich nicht, aber allein dass man in diese Maßnahmen förmlich hin einmanipuliert wurde und immer dieses ungesunde hochkalorische Essen bekam, ist doch schon eine Art von Gewalt. Mir ist heute nicht klar, was in diesen sechs Wochen mit mir passiert ist, aber ein späteres Ferienlager und jede Klassenfahrt waren ein erzeugtes massives Unbehagen. Ähnliche Abneigungsgefühle kamen in einer medizinischen Reha in 2016 auf. Nach meiner Knie-Endoprothese machte ich eine ambulante Reha. Bloß nicht wieder in eine stationäre Einrichtung. Meine Kinder habe ich nie in Ferienfreizeiten geschickt. Anonymisierungs-ID: ami

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