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77978 Kinzigtal, 1961

...und musste den Rest der Zeit barfuß auf dem Steinboden neben der Heizung im Flur stehen

Von: G.N.

Verschickungskinder

Ich wurde im November/Dezember 1961 im Alter von 5 Jahren zur Erholungskur in das Kinderkurheim Waldhof in Steinach/Kinzigtal im Schwarzwald geschickt und habe dort – wie so viele andere Kinder auch – sehr unschöne Dinge erlebt.

Ich schildere im Folgenden nur kurz die Eindrücke und Erlebnisse, an die ich mich genau erinnern kann.

In diesem Kinderheim gab es Mehrbettzimmer, in denen man nach dem Mittagessen strikt „Silentium“ einhalten musste. Da ich während der Zeit geredet habe, wurde ich aus dem Bett geholt und musste den Rest der Zeit barfuß auf dem Steinboden neben der Heizung im Flur stehen. Wie oft dies vorgekommen ist, weiß ich nicht mehr.

Zum Frühstück gab es Haferschleim, der bei mir Übelkeit und Erbrechen hervorrief.

Da die anderen Kinder – verständlicherweise – nicht mit einem sich erbrechenden Kind an einem Tisch sitzen wollten, wurde ich mit einer neuen Portion Haferschleim jeden Morgen alleine an einen Tisch in der Ecke gesetzt. Ich hätte jede trockene Scheibe Brot mit Heißhunger verschlungen…

Als Nikolaus und Knecht Ruprecht am 6. Dezember kamen, wurde mir gesagt, dass ich ja ungehorsam sei und meinen Haferbrei nicht äße.

Für eine Fünfjährige sehr bitter….

Ich hatte jeden Abend Heimweh, habe geweint, konnte aber nicht mit meinen Eltern kommunizieren, da ich ja noch nicht schreiben konnte. Davon abgesehen wurde die Post auch bestimmt zensiert. Die Postkarte von „Onkel Rudi“, die meine Eltern geschickt bekamen, besagte nur, dass es mir gut gehe…

Die Räumlichkeiten, an die ich mich erinnern kann, wie Sammelduschen, Schlafräume, Flure und Essraum, habe ich dunkel und kalt in Erinnerung.

Ich habe sicher Glück gehabt, dass es in diesem Heim keine Schläge gab, aber psychische Gewalt habe ich dort sehr wohl erlebt. Es spricht auch für sich, dass ich mich auch an nichts Positives (gemeinsames Spielen/Singen, Spielzeug, nettes Personal o.ä.) erinnern kann.

Aus heutiger Sicht ist es nicht nachvollziehbar, dass die Eltern all der Verschickungskinder, die Ähnliches (oder Schlimmeres…) erlebt haben, keine rechtlichen Schritte gegen diese Art Heim eingeleitet haben.

Zum Glück hat mich diese schreckliche Erfahrung nicht auf Dauer belastet, außer dass bereits das Wort ‚Haferschleim‘ Würgereiz auslöst… Wenn mein Bericht aber dazu beitragen kann, diese schrecklichen Vorkommnisse aufzuarbeiten, wäre ich sehr froh.

Neuss, Oktober 2020 Anonymisierungs-ID: aen

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