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87509 Bühl am Alpsee, 1960

Nach Prügel Verdacht auf Gehirnerschütterung

Von: H.-J.V.


Name des Trägers: 
Kostenträger: 

Dauer der Verschickung: ca. Juli 1960
Bericht: Ich bin am 25.Dezember 1953 in Köln geboren und lebte damals dort. Unser Kinderarzt; ein Dr. Z. hatte bei mir eine Bronchitis diagnostiziert und eine dahingehende Kur empfohlen. Vom Gesundheitsamt in Köln wurde dann ein Heim in Bühl am Alpsee angeboten.
Zuerst war natürlich die Freude groß in dem Allgäu reisen zu dürfen und mit anderen Kindern spielen zu können.
Die Freude währte nur bis zur Ankunft. Wir mussten uns in einem großen Raum einfinden, wo uns von einer großen rothaarigen Frau die Regeln für die Zeit des Aufenthalts erklärt wurden. Nach Ende des Vortrags stellte ich fest, dass mir mein Verpflegungsbeutel, den ich über die Rückenlehne des Stuhls gehangen hatte, nicht mehr da war.
Meine Eltern hatten mir beigebracht auf meine Sachen immer gut aufzupassen. Daher ging ich zu der rothaarigen Frau, um die Sache zu erklären. Ich hatte mein Anliegen gerade vorgetragen und fing mir wortlos eine derart gewaltige Ohrfeige ein, die ich mein ganzes Leben nie vergessen habe. Begleitet wurde die Ohrfeige mit den lapidaren Worten: dann musst du auf deine Sachen eben besser aufpassen. Ich musste sehr schnell lernen, dass in diesem Heim alles, was Kindern normalerweise Spaß und Freude bereitet mit Schlägen und Demütigungen verbunden ist.
Beispiel: draußen wurde ein Spiel gespielt, bei dem ein Läufer die andere Sperrlinie durchbrechen muss. ” Der Kaiser schickt seine Soldaten aus; er schickt den Hermann zum Tor hinaus “Gelang der Durchbruch nicht gab es Prügel.
Das Essen war bis auf sonntags üblem Fraß. Die Kartoffeln, die im Lichtschacht des Hauses vor sich hingammelten und üblen Geruch verbreiteten wurden zum Essen gereicht.
Ich weiß noch bis heute, dass mein Tischnachbar; ein Junge namens K. W. das “Essen ” in den Teller erbrochen hat. Es wurde nachgezuckert und musste danach wieder gegessen werden.
Es ist mir selbst auch passiert, dass ich das Essen erbrochen habe; ich wurde seltsamerweise nicht gezwungen aufzuessen.
Der absolute Horror waren die Nächte. Nachts durfte man nicht auf die Toilette. Die ” Pflegerinnen” kamen abends mit einem Töpfchen Wasser in das man den Finger stecken musste.
Die ” schwarze Hexe ” kam nachts in den Schlafsaal und leuchtete mit einer Taschenlampe auf die Augen der Kinder. Die die dann durch Zwinkern anzeigten, dass sie nicht schliefen, machten Bekanntschaft mit den Gesundheitslatschen der ” schwarzen Hexe “.
Ich habe diese, in den 60ern weit verbreiteten Gesundheitslatschen gehasst.
Ich musste irgendwann aber trotzdem nachts raus und wurde von der “schwarzen Hexe ” erwischt. Zur Strafe bekam ich erstmal Schläge mit ihren Gesundheitssandalen und musste für den Rest der Nacht mit einer Decke auf einen Stuhl im Tagesraum sitzen. Ich brauche wohl nicht näher zu erläutern, wie sich ein fünfeinhalbjähriger Junge im Dunkeln dabei fühlt.
Dafür, dass man ja dann nachts nicht geschlafen hat, wurde man dann tagsüber mit ” Nachschlafen” bestraft. Während die anderen Kinder draußen waren, musste man “nachschlafen”. Horror Nummer Zwei war das wöchentliche Duschen; damals dort “Brausen” genannt. Ich wurde mit Badehose und ohne Seife unter die Dusche gestellt. Wenn man sich bewegte gab es Schläge. Wenn der Wasserstrahl der heißen “Brause” immer auf die gleiche Stelle trifft, glaubt man schon nach kurzer Zeit man würde mit Kieselsteinen beworfen.
Die Leiterin dieses Heimes war eine Frau S. Die war die Einzige in diesem Heim die nichts Böses tat; sie tat aber auch nichts dagegen, was ihre Untergebenen anstellten. 
Als sich nach unendlich langen Tortur Wochen endlich die Heimreise näherte musste ich irgendwann zur Toilette; das größere Geschäft ausführen. Als ich da so saß hat ein anderes Kind immer unter der Toilettentür durch den Spalt geguckt. Ich habe dem Jungen mehrfach gesagt, dass ich das nicht haben wollte. Er hat seine Tätigkeit fortgesetzt und irgendwann habe ich ihn mit dem Fuß gestupst; nicht getreten.
Als ich mein “Geschäft” beendet und die Toilettentür geöffnet habe wurde mir von einer herbei gerufenen Pflegerin eine derartige Tracht Prügel verpasst, dass ich abends auf die Krankenstation mit Verdacht auf Gehirnerschütterung gebracht wurde.
Die meinen Eltern genannte Ankunft zuhause konnte natürlich nicht eingehalten werden. Als Grund dafür schrieb die Heimleitung meinen Eltern das ich Keuchhusten hätte. Meine Mutter hat sich noch gewundert, weil ich den Keuchhusten einige Zeit vorher gehabt habe.
Auch nach all den Jahrzehnten klingt das Erlebte immer noch nach. Ich denke, viele negative Dinge in meiner späteren Entwicklung sind auf diese 6 Wochen zurückzuführen. Meine Eltern habe sich zwar gewundert, dass ich zuhause von alleine Betten machte; führten das aber fälschlicherweise auf einen Erfolg in Bühl zurück. Es fiel ihnen allerdings auf, dass ich viel schweigsamer und verschlossener geworden war. Erst Jahre später gelang es mir das Trauma ein wenig zu überwinden und meinen Eltern über die Geschehnisse zu berichten.
Ein tiefes Misstrauen gegenüber fremden Menschen ist bis heute erhalten geblieben. Ich habe sehr an mir arbeiten müssen zu lernen Probleme nicht nur mit mir selbst auszumachen, sondern mich mit meinem Partner oder Kindern öffnen zu können.

Anonymisierungs-ID: agv

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