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59955 Altastenberg, Haus Sonnenschein, 1957 / 77815 Bühl, Jugendkurheim, St. Michael, Haus Nickersberg, 1960

Meine Eltern erhofften sich viel von dem Aufenthalt in guter Luft mit gutem Essen. Für mich sollte es die Hölle werden.

Von: M.

1. Kinderkur

Jahr der Verschickung: 1957

Dauer der Verschickung: 6 Wochen

Wohnort/Bundesland: Oer-Erkenschwick, NRW

Ort und Bundesland des Verschickungsheims: Altastenberg, NRW

Name des Trägers: AWO, Bezirk Westl. Westfalen

Kostenträger: wahrscheinlich Bundesknappschaft

Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets. Mein Vater arbeitete   auf der Schachtanlage Ewald-Fortsetzung in Oer-Erkenschwicker. Wir wohnten gegenüber der Kokerei. Wenn Koks gelöscht wurde, flogen kleine schwarze Partikel in der Luft. Geheizt wurde mit Depot-Kohle des Pütts. Die Luft, die wir einatmeten war wirklich nicht die Beste.

Wie viele andere Kinder des Ruhrpotts hatte ich ständig Husten. Meine Mutter schleppte mich von einem Arzt und von einem Heilpraktiker zum anderen. Wegen chronischer Bronchitis, und weil ich zu dünn war, wurde ich auf Anregung der Werksärztin und des Hausarztes zur Kur nach Altastenberg in das Haus Sonnenschein geschickt. Meine Eltern erhofften sich viel von dem Aufenthalt in guter Luft mit gutem Essen. Für mich sollte es die Hölle werden.

Die “Tanten” waren kalt und sehr streng.

Ich musste Unmengen an Essen in mich hinein schaufeln. Wenn ich diese Mengen nicht schaffte, musste ich zwar nicht den gefürchteten Mittagschlaf halten (gefürchtet weil man sich nicht rühren durfte, weinen auch nicht), dann musste ich im Nachthemd auf dem Flur stehen. Danach gab es Kuchen, den ich auch nicht gerne essen wollte, denn er war alt. Ich mag heute noch keinen Kuchen.

An einem Abend gab es einen fürchterlichen Brei. Beim ersten Löffel musste ich Erbrechen. Dann sollte ich das Erbrochene essen. Weil ich das nicht wollte, wurde ich von “Tante” R. von hinten gepackt. Sie drückte mich mit dem linken Arm an ihre Brust, hielt mir mit derselben Hand die Nase zu und schob mir mit der rechten Hand den Löffel mit dem Erbrochenen in den Mund, der natürlich auch wieder herauskam. Nun klemmte sie mich unter den linken Arm und verpasste mir eine fürchterliche Tracht Prügel. Sie wollte gar nicht von mir ablassen. Irgendwann rief ich: “ Ich muss Pipi!” Dann pinkelte ich ihr auf die Schuhe. Sie ließ endlich ab von mir und ich musste ohne Essen ins Bett.

Einmal rief mein Vater von seinem Diensttelefon an. Ich wurde tatsächlich geholt und rief ins Telefon: “Holt mich nach Hause!” Nun wurde ich wie die Bettnässer behandelt. Ich bekam nur noch den Schlüpfer an, keinen Rock darüber, wenn ich Glück hatte, bekam ich vorne wenigstens noch eine Schürze.

Als ich dann endlich nach Hause kam, habe ich nicht mit meinen Eltern darüber gesprochen.

2. Kinderkur

Jahr: 1960

Dauer: 6 Wochen

Wohnort/Bundesland: Oer-Erkenschwick, NRW

Ort/ Bundesland Verschickungsheim: Bühl, BW, Schwarzwald

Name und Träger des Heimes: Haus Nickersberg, privat, Dr. B.

Kostenträger: wahrscheinlich Bundesknappschaft

Seltsamerweise kann ich mich, obwohl ich 3 Jahre älter war, nicht so gut erinnern. Ich schiebe es auf den „Hustensaft“, den ich dort bekam. Ich habe Erinnerungen an die Zeit vor und nach der Verschickung, aber wenig von der Zeit.

Ich kann mich erinnern an das Warten auf die Untersuchung auf dem Flur, nur mit dem Schlüpfer bekleidet. An rot karierte Bettwäsche, an den Eimer, der nachts ins Zimmer gestellt wurde. Wir durften die Toilette nachts nicht benutzen. Mein Teddy, den ich Weihnachten bekommen hatte, ich war im Januar dort, wurde mir von einem Kind geklaut. Weil ich weinte, musste ich mit nackten Füßen in der Nacht auf dem Flur stehen. Am nächsten Tag sagte ein Kind, dass es gesehen hatte, wer den Teddy entwendet hatte. Nun wurde das Mädchen bestraft, weil es gepetzt hatte, die Täterin natürlich auch.

Einmal war ich krank, ich wurde ins Bett gesteckt, und es kümmerte sich niemand um mich.

Dann kann ich mich noch an einen größeren Jungen erinnern, der immer von allem Fischkopp genannt wurde. Ich glaube, er kam aus Gelsenkirchen.

Ein Mädel aus meiner Heimatstadt, wurde quasi von ihrer Tante, die in der Nähe wohnte, „entführt“. Sie holte sie aus dem Heim.

Ich hatte in der Kur meinen 6. Geburtstag. Meine Eltern schickten ein Päckchen, was ich nie sah.

Mehr weiß ich leider nicht mehr!

Die beiden Kuren hatten einen großen Einfluss auf mein weiters Leben. Lange litt ich unter Angst- und Panikattacken, als Kind hatte ich Angst ins Bett zu gehen. Depressionen kommen immer mal wieder.

Ich traue keinem Menschen und bin ein Kontrollfreak! In Diskussionen oder bei Streit verstumme ich einfach.

Ich hoffe, ich kann mit meinem Bericht helfen!

Anonymisierungs-ID: aae

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