Von: M.W.
Durch einen heutigen Artikel in der „Marler Zeitung“ bin ich auf Ihre Initiative aufmerksam geworden. Das Thema beschäftigt mich seit Jahrzehnten.
Ich war im Winter 1963 zu einer „Kur“ im Hedwigsheim in Bad Rothenfelde. Der Grund dafür war, dass ich als Zweijährige an einer Lungentuberkulose erkrankt gewesen war und sieben Monate in einer Klinik in Bad Lippspringe verbracht hatte. Vor der Einschulung sollte ich im Jahr 1963 dann noch einmal an Gewicht zunehmen, um besser auf die Schule vorbereitet zu sein.
Aus der Zeit, die ich im Hedwigs-Heim verbringen musste, ist mir Folgendes in Erinnerung geblieben:
Obwohl meine Eltern darauf aufmerksam gemacht hatten, dass ich keine heiße Milch trinke, wurde ich regelmäßig dazu gezwungen. Das Bild der Haut auf heißer Milch steht mir bis heute (60 Jahre später) vor Augen. Regelmäßig musste ich mich erbrechen. Auch wenn dies auf das Essen geschah, musste weitergegessen werden – das erging nicht nur mir so, sondern allen Kindern. Ich trinke bis heute weder heiße noch kalte Milch.
Wenn man sich auf der Kleidung erbrach, wurde man mit voller Kleidung in die Dusche „geschleppt“ und kalt abgeduscht. Ich erinnere mich zumindest an eine Szene, in der ich weinend in der Ecke der Dusche gekauert habe.
Eine psychische „Folter“ bestand darin, dass man Sonntagsabends beim Abendesssen drei kleine Süßigkeiten (Bonbons) bekam, die einzigen in der Woche. Nach dem Abendesssen mussten alle Kinder eine große Treppe zu den Schlafräumen hochgehen und wurden sehr eindringlich aufgefordert/genötigt(?) diese Bonbons in ein großes Glas, das am Ende der Treppe stand, „für arme Kinder in Afrika“ zu spenden…..Heute weiß ich natürlich, dass das einfach nur ein Werkzeug zu unserer Erniedrigung war.
An körperliche Züchtigungen kann ich mich ansonsten nicht erinnern. Ich erinnere mich aber, dass es lediglich eine jüngere Mitarbeiterin gab, die uns Kinder manchmal getröstet hat.
Ich habe diese Erlebnisse in den letzte Jahrzehnten immer mal wieder Freunden und meiner Familie erzählt.
Das Interessante ist: Ich bin eine sehr engagierte und begeisterte Lehrerin (mit fast 65 immer noch). Wenn es aber darum ging, mit Schülergruppen auf eine mehrtägige Fahrt in eine Jugendherberge zu fahren, habe ich schon Wochen vorher unter einer großen Traurigkeit und zuweilen Panikattacken gelitten. Ich konnte mir das überhaupt nicht erklären, bis mir vor etwas zehn Jahren, als ich mir die Bilder, vor denen ich so eine große „Angst“ entwickelte, vor Augen hielt, klar wurde, dass es die Flure waren, hinter denen in Räumen Kinder schlafen, sowie die großen Speiseräume mit Kindern…..
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