von W.P.
als Betroffene habe ich Ihren Artikel mit großem Interesse gelesen.
Ich bin ein sehr frühes Verschickungskind, das erste Mal 1950,im Alter von drei Jahren ins Bergische, dann alle zwei Jahre bis zum Alter von 11 Jahren in wechselnde Heime, Blintrop, Bad Münster am Stein, Wertach im Allgäu 3mal.
Meine Schwester und ich haben einige psychische Misshandlungen erlebt, an besondere körperliche kann ich mich nicht erinnern, ich war ein eingeschüchtertes Kind, ich gab wohl auch kaum Veranlassung.
Prügel, wenn man eingenässt hatte ,das essen müssen, was man nicht mochte, Kontrolle jeglicher Art, besonders gründlich der Post ,warten auf ein Paket als Liebesbeweis der Eltern, schlafen müssen, wenn man nicht schlafen konnte vor Heimweh ,beschimpft werden, wenn man nicht zugenommen hatte, das war Alltag im Heim.
Wir hatten Heimweh, wir zählten die Tage.
Heimweh nach den Menschen, die uns ins Heim geschickt hatten.
Ich kann heute diese Erlebnisse in der Regel ohne emotionale Beteiligung betrachten.
Was mich zu diesem Schreiben motiviert ,ist die Frage, warum habe ich spät erst erfasst, was Eltern ihren Kindern angetan haben.
Erst als ich selbst Mutter war und über und durch mein Kind wieder an meine eigenen Kinder – Gefühle herankam, wurde mir das Schlimme in aller Klarheit bewusst.
Erst dann habe ich mir die Frage gestellt, wie emotional abgespalten müssen Eltern von ihren Kindern sein, ihre Kinder völlig fremden Menschen zu überlassen ohne Kontrollmöglichkeit.?
Ich habe auch noch nie darüber gelesen, was Eltern dazu motiviert hat, ihre Kinder über Wochen von sich zu entfremden, einem Schicksal zu überlassen, von dem sie keine Ahnung hatten.
Vielleicht war es die Entpersönlichung der Kriegszeit, eine emotionale Verrohung.
Unabhängig von jeder Erklärung ist die Wirkung auf die Kinderseele.
Das Verhalten meiner Eltern war und ist das eigentliche Problem. Ich habe meinen Vater gefragt, die Fragen waren ihm peinlich, das habe ich deutlich gespürt, die Antworten nichts -sagend. Die Mutter war halt krank, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Hat ihm halt auch leid getan. Was habe ich erwartet?
Meine Mutter habe ich nie gefragt, sie war gestorben , bevor ich Fragen hatte.
Heute weiß ich, dass der eigentliche Schaden im Vertrauensverlust liegt und in der fehlenden Geborgenheit und Stabilität. Jeder Heimaufenthalt war „das letzte Mal“.
Mir fehlt-wie vielen der Kriegs-und Nachkriegszeit- die Leichtigkeit der Kindheit, ich wurde früh parentisiert, die Sorge um meine Mutter bestimmte die Kindheit.
Meine Mutter benötigte Erholung, Kinder waren anstrengend, das Heim notwendig.
Im Rückblick auf mein Leben : Ich habe mein Leben trotz aller Schwierigkeiten gut gelebt. Ich habe die für mich richtigen Entscheidungen getroffen, aus den Traumata konnte ich auch Stärke ziehen, ich habe kämpfen gelernt.
Jetzt im Alter bereitet mir eine geringe Fähigkeit zu vertrauen Probleme. Diesen Schaden, den ich durch die Kindheit zugefügt bekommen habe, kann ich nicht mehr reparieren, ich habe es versucht.
Es würde mich interessieren, ob ich durch Gespräche und Austausch mit Betroffenen ein Benefit erreichen könnte. Ich würde es gerne ausprobieren.