Ein Versuchskind in der Obhut der katholischen Kirche – Warum gerade ich?

Es war ein überwältigender Abend für Dietmar Schmitz. Vor 42 Interessierten las er zum ersten Mal vor Publikum aus seinem neuen Buch „Abgegeben in fremde Hände – warum gerade ich? Ein Verschickungskind alleine unterwegs.“ Die Veranstaltung fand in der Evangelischen Kirchengemeinde Weeze statt und wurde von Detlef Lichtrauter, dem Vorsitzenden des AKV, moderiert. Für den NRW-Verein war es eine Premiere: Wer nicht nach Weeze kommen konnte, konnte die Veranstaltung online über Zoom verfolgen. Über 20 Leute waren so dabei.

Dietmar Schmitz ist es als Musiker gewohnt, vor Publikum zu spielen. Er ist ein gefragter Dudelsackspieler am Niederrhein und im Ruhrgebiet. Trotzdem war die Lesung für ihn etwas ganz Besonderes. Zum ersten Mal teilte er mit so vielen Menschen die Erlebnisse seiner Kindheit, die sein ganzes Leben geprägt haben. „Ich finde es immer noch schwer, bestimmte Stellen aus meinem Buch vorzulesen“, sagte Dietmar Schmitz nach der Lesung.

Dietmar Schmitz ist heute sicher, dass er als Kind Teil eines medizinischen Experiments war. Als er acht Jahre alt war, wurde er im November 1968 allein in eine Kur ins Allgäu geschickt, was schon schlimm genug war. Als seine Eltern ihn nach sechs Wochen abholen wollten, durfte er nicht mit nach Hause, sondern musste insgesamt ein halbes Jahr bleiben. Der Verdacht auf Lungentuberkulose war der Grund dafür. Jeden Tag musste er eine Magensonde schlucken und eine weiße Tablette nehmen. Vor kurzem wurde durch einen medizinischen Test festgestellt, dass er nie Tuberkulose hatte. In dieser schweren Zeit war sein Teddy sein einziger Trost.

Das Kurheim im Allgäu wurde von den „Mallersdorfer Schwestern“, einem katholischen Orden, geleitet. Christliche Nächstenliebe fanden die Kinder dort nicht. Es gab nächtliche Toilettenverbote, Gewalt und Zwang zum Essen und Schlafen. Dietmar Schmitz ist bis heute wütend darüber: „Warum braucht ein 8-jähriges Kind noch einen Mittagsschlaf? Während dieser Zwangsruhe durften wir keine Bücher lesen, keinen Laut von uns geben und durften auch, wie nachts, nicht auf die Toilette gehen. Es ist für mich unvorstellbar, dass gläubige Menschen, die sich der Nächstenliebe widmen, Kindern so etwas antun konnten!“

Viele im Publikum waren sehr berührt. Es waren sowohl Leute da, die selbst als Kinder in Kuren geschickt wurden, als auch solche, die das nicht erlebt haben. Alle fanden es unverständlich, dass die Kinder den Nonnen schutzlos ausgeliefert waren und niemand eingegriffen hatte.

„Es war auf jeden Fall ein ergreifender Abend für mich, der mich noch lange emotional berühren wird“, sagte Dietmar Schmitz am Ende.

Autorin: Michaela Stricker

 

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