59955 Astenberg, Sauerland, 1957

Brutale Atmosphäre

Von: E.E.
Dauer der Verschickung: Vier oder sechs Wochen
Bericht: Oft habe ich die Berichte über die Kinderverschickung in den 50er Jahren gehört und
gelesen. Heute möchte ich meine Geschichte über den Kinderheimaufenthalt erzählen.
Im Sommer 1957 kam ich als 11-jähriges Mädchen zur Erholung ins Sauerland, Altastenberg,
Haus Sonnenschein. Unser Hausarzt hatte es meinen Eltern empfohlen. Ich hatte gerade mein
neues Schuljahr in der Realschule begonnen. Ich wurde mit anderen Kindern am Bahnhof
abgeholt. Die „Tanten“ begrüßten uns; eine von ihnen fragte, ob jemand aus Norderney käme. Ich
meldete mich und erkannte die „Tante“ und wusste auch wo sie wohnte. Das gab mir ein sicheres
Gefühl, wusste aber nicht, was uns alle erwarten würde. Das Essen war furchtbar, zum Teil war
es matschig und schmeckte angebrannt und fade. Während des Essens durften wir nicht
sprechen. Ich wurde leider einmal beim Sprechen erwischt und musste meinen Teller nehmen
und am sogenannten „Katzentisch“ ganz vorne in dem großen Speisesaal Platz nehmen, wo mich
alle sehen konnten. Nach dem Mittagessen mussten wir zwei Stunden Mittagsruhe halten in
unseren Betten, keiner durfte währenddessen reden, geschweige denn zur Toilette gehen. Ich
empfand es als eine Qual, der Drang zur Toilette wurde immer größer, am Ende konnte ich kaum
laufen, weil die Blase prall gefüllt war. Meine Bettnachbarin hatte ins Bett gemacht, sodass es
unter der Matratze auf den Boden floss. Sie wurde gezwungen ihr Laken zu nehmen, um den
Fußboden damit zu reinigen. Im oberen Stock des Hauses waren neue Kinder angekommen. Man
sagte uns, das seien die Berliner Kinder und es wurde verboten, mit ihnen zu sprechen. Ich war
damals kein ruhiges Kind, und die Schwestern ermahnten mich auf Schritt und Tritt mit
Beschimpfungen. An einem Tag sollten wir unsere Kleider sammeln, denn sie sollten gewaschen
werden. Nach ein oder zwei Tagen hieß es, wir könnten unsere Wäsche holen. Wir Kinder
standen vor einem großen Haufen nasser Wäsche, und jeder sollte seine Sachen aussuchen. Ich
war so froh, als es wieder nach Hause ging. Habe meinen Eltern nichts über die brutale
Atmosphäre erzählt, weil ich mich total schämte.
Anonymisierungs-ID: apw

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