Name: J.M.
Name des Trägers: Katholischer Träger, Scheidegg
Kostenträger: DAK
Dauer der Verschickung: 6 Wochen
Bericht: Ich wurde aufgrund einer beginnenden Allergie (Heuschnupfen) in die „Kinderlandverschickung“
gegeben. Weisungsgemäß nähte meine Mutter in alle meine Kleidungsstücke kleine Schildchen mit meinem
Namen (weiß mit roter Schreibschrift).
Ich wurde progressiv erzogen, zu einer eigenen Meinung und einem eigenen Willen, allerdings nicht religiös
geprägt, wenngleich ich protestantisch getauft wurde. Im Süden Deutschlands als ungetauftes Kind einen
Kindergartenplatz zu bekommen wäre eine unlösbare Aufgabe gewesen…
Entgegen der Empfehlung aus dem Vorgespräch mit meinen Eltern, sprachen sie mit mir und ich wusste, warum
ich dort sechs Wochen verbringen würde. Auch widersetzten sie sich der Empfehlung einfach wieder
wegzufahren, sondern verabschiedeten sich von mir.
Ich wurde zu einem friedlichen Menschen erzogen und lernte dank der Ordensschwestern etwas völlig neues
kennen.
Hass.
Das Essen war selbst für eine Großküche schlecht. Und eigentlich sollte ich dankbar gewesen sein, dass ich erst
am vierten Tag etwas bekam. Bei den Katholiken ist das nämlich so, wer das Vaterunser nicht bettelt, hat wohl
auch keinen Hunger.
Am vierten Tag gewann der Hunger und die paar Zeilen konnte ich schon. Ab der zweiten Woche wurde ich auch
physisch krank, aus meiner heutigen Perspektive war ich „Heimwehkrank“. Jeden Abend habe ich mich in den
Schlaf geheult, meiner Plastikspieluhr die Ohren abgekaut und mein Kuscheltier, einen Steiffesel, vermisst.
Und doch war ich dankbar über den großen Schlafsaal, denn im kleinen bekam ein Junge jeden Abend eine
ordentliche Tracht Prügel. Schwester I. tat sich hierbei besonders eifrig hervor.
Mit Beginn der zweiten Woche bekam ich täglich eine recht schmerzende Injektion Antibiotika in den Gluteus.
Sitzen war ab dem dritten Tag nicht mehr witzig. Mein Zustand wurde recht zügig schlechter und Mitte der dritten
Woche kamen meine Eltern aus Hamburg zu Besuch. Wir verbrachten zwei wunderschöne Tage und ich war
schlagartig gesund. Sie wunderten sich über meine Kleidung, da ich nicht ein einziges eigenes Kleidungsstück
trug. Sie sagten mir, dass ich durchhalten müsste, da bei einem Abbruch die Kosten auf uns übergehen würden,
da sie sich ja allen Empfehlungen widersetzt hätten. Keine Erklärung im Vorwege, keine Abschiede…
Also hielt ich durch. Und was ich lernte half mir. Ich hasse Kirchenkatholen. Sie mit ihren eigenen Mitteln zu
läutern, sollte straffrei sein. Jeglicher Form institutionalisierten Glaubens stehe ich grundsätzlich skeptisch
gegenüber.
„Misstraue jeglicher Unternehmung, die neue Kleider erfordert und nicht viel mehr neue Träger der alten.“
Mit vierzehn lehnte ich auch die Konfirmation ab. Seither betrachte ich mich als Agnostiker und da ich den Becher
der Erkenntnis nicht bis zur Neige leerte, schaute ich auch Gott noch nicht.
Später, wieder Zuhause, fehlte mehr als die Hälfte meiner Kleidung und mein Esel, der leidet wahrscheinlich
immer noch.
Noch heute haben es Christen sehr schwer bei mir. Es konnte mir niemand erklären, warum ich, obwohl ich kein
Kirchenmitglied bin im Rahmen der Pauschalversteuerung jahrelang Kirchensteuer auf meine Direktversicherung
zahlte. Zwangsabgabe. Nominal sei Deutschland säkular. Warum sind dann Christen in so vielen entscheidenden
Bereichen derart überrepräsentiert? Warum zieht das Finanzamt Kirchensteuer mit ein, ohne sich diese
Dienstleitung bezahlen zu lassen?
Man merkt, ich hasse sie immer noch.
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