Von: D.R.
Verschickt aus (damaliger Heimatort) *: Hagen/Westf.
Jetzt wohnhaft in: Hagen/Westf.
Dauer der Verschickung: 4 Wochen
Bericht: Ich wurde 1955 eingeschult. Damals gab es in den Pausen Kakao oder Milch. Hier in
Hagen war ein Rohrbruch in der Molkerei und Fäkalien wurden in Milch und Kakao
eingeleitet. Bis man das festgestellt hat, waren drei Kinder hier in Hagen an Para-Typhus
erkrankt und wir kamen nach Dortmund in die Barbara-Klinik (in Quarantäne). Anschl. wurde
ich nach St.Blasien in die Kur verschickt. Zu der Zeit kam der Schlager „am Sonntag will
mein Süßer mit mir segeln gehn“ auf. Eines der Kinder sang „am Sonntag will mein Süßer
mit mir vögeln gehn“ Ich war 5 oder 6 Jahre alt und hatte absolut keine Erfahrung, was das
Wort vögeln war. Ich habe diesen Refrain „vögeln“ auch gesungen, weil ich mir nichts dabei
gedacht habe. Das hörte dann ein „Erzieher“ und dieser Mann schlug mich mehrfach feste
ins Gesicht. Ich habe geweint, wusste ich doch nicht, warum ich geschlagen wurde. Ab dann
bekam ich von diesem Mann Schläge, beinahe täglich, auch ohne ersichtlichem Grund. Ich
bekam so ein großes Heimweh und konnte doch nicht dort weg. Meinen Großeltern (bei
denen ich aufwuchs) habe ich nach meiner Rückkehr davon erzählt, aber es passierte gar
nichts. Diese Zeit in St. Blasien war die Hölle für mich. Ich weiß nicht, welche Traumata ich
bis heute dadurch erlebe. Eines steht jedoch fest. Da die anderen Kinder mich ab dann
hänselten, weil ich a) Schläge bekam und b) danach immer heftig geweint habe, war ich bis
heute nicht in der Lage, Freundschaften zu schließen. Heute mit 76 Jahren bin ich einsam,
ohne Freunde, ich konnte nie wieder jemanden vertrauen.
Anonymisierungs-ID: ase
